Freitag, 22. Dezember 2023

EU-Migrationspolitik: Die Herberge will keine Flüchtlinge mehr

Detlef Esslinger analysiert in der Süddeutschen Zeitung  die Asylpolitik der Europäischen Union sowie europäischer Staaten.

Herberge künftig geschlossen

Ausgerechnet vier Tage vor Heiligabend hat Europa die Botschaft ausgesendet, dass die Herberge künftig geschlossen ist. Damit werden gleich drei Botschaften versendet. Die EU verkündete ein Konzept, dass Migranten künftig vor der Tür halten will. Frankreich beschloss ein Konzept, dass bereits Im Land Lebenden die Existenz erschwert. Deutschland beschließt Maßnahmen, um Flüchtlinge leichter loszuwerden.

Keine andere Wahl zu dieser Hartherzigkeit

Der Autor hat Verständnis für diese Hartherzigkeit. „Es hilft Afrika und den Afrikanern überhaupt nichts, jeden hier aufzunehmen, der kommen will - und dies womöglich so lange, bis sämtliche sogenannten "Fluchtursachen" beseitigt sind (also im 28. Jahrhundert oder so)“.
Damit ist weniger die ökonomische Endlichkeit gemeint – Deutschland wird nicht auf das Niveau von Eritrea zurückfallen, selbst wenn es noch viele Flüchtlinge unterstützt. Die Endlichkeit ist praktischer und kultureller Art: Gesellschaften haben nicht nur die Pflicht zur Barmherzigkeit, sondern müssen auch an den eigenen Zusammenhalt denken.

Verantwortung durch unverdientes Glück

Die Lösung ist nicht der „Schleichweg zu Populisten“. Menschen im Westen haben unverdientes Glück und tragen durch ihren Lebensstil mit zu den Problemen der armen Staaten bei. Dies zeigt sich beim Klimawandel. Deutschland stößt pro Jahr und Kopf acht Tonnen CO₂ aus – Guinea 0,2 Tonnen.
„Soll man sich dann wundern, wenn die Menschen ihr Heil in Europa suchen? Anders gesagt: Schon indem Populisten, gleich in welchem Land, stets die Klimakrise leugnen, plädieren sie in Wahrheit für Kontrollverlust bei der Migration.“

Samstag, 25. November 2023

Geert Wilders und das Demokratieproblem in den Niederlanden

Thomas Kirchner analysiert in der Süddeutschen Zeitung  das Wahlergebnis in den Niederlanden.

Unzufriedenheit mit der Politik begünstigt Nationalisten

Die Wahl zeigt, was passiert, wenn sich die Politik von ihren Bürgern und deren Sorgen abschottet. Dann können rechte Radikale an die Macht kommen. Und dann wird es gefährlich - siehe das Programm des Nationalisten. Gelang vor acht Monaten der Bauer-Bürger-Bewegung ein triumphaler Sieg bei den Provinzwahlen ist es nun Geert Wilders gelungen. Waren es damals die Umweltpolitik, war es diesmal die Zuwanderung. Dazu kamen Probleme, die viele Regionen umtreiben: schwindende Kaufkraft, kaum bezahlbare Wohnungen, steigende Gesundheitskosten. Hinzu kommt die Unzufriedenheit mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte, dem der eigene Machterhalt wichtiger schien als die Not der Menschen.

Radikales Programm von Wilders

Geert Wilders ist einer der radikalsten europäischen Nationalisten. Verbot des Korans, Schließung aller Moscheen und islamischen Schulen im Land, Referendum zum Ausstieg aus der EU, Klima- und weite Teile der Umweltpolitik komplett streichen, Türkei aus der Nato werfen, keine Waffen für die Ukraine, totaler Asylstopp, durchgesetzt von Soldaten an der niederländischen Grenze. Vertreter der anderen Parteien beleidigte er auf übelste Weise.

Wilders an der Regierung wäre schlecht. Ihn nicht regieren zu lassen? Auch

Gestoppt werden kann er nur durch ein lagerübergreifendes Bündnis – von Sozialdemokraten zu Rechtliberalen. Dies könnte die die Unzufriedenheit eher noch befördern. Das wäre allenfalls die weniger schlechte Lösung. Die andere Alternative wäre die Beteiligung an der Regierung – Rutte hatte sich von Wilders Anfang der 2010er tolerieren lassen.

Menetekel für Europas Mitte-Parteien

Es wird Zeit, sich ernsthaft um die Sorgen der Bürger zu kümmern. Dazu zählen Fortschritte bei der Migrationsfrage, z.B. durch Verhandlungen mit Dritt- und Herkunftsstaaten, um das Sterben auf dem Mittelmeer beenden. Oder es ist Marine Le Pen, die den nächsten großen Sieg einfährt.

Mittwoch, 15. November 2023

Wird der Ukraine-Krieg zum „eingefrorenen Konflikt“?

Cathrin Kalhweit geht in der Süddeutschen Zeitung der Frage nach, ob aus dem Ukraine-Krieg zum „eingefrorenen Konflikt“ wird.

Droht ein eingefrorener Konflikt mit Vorteil für Russland?

Die Ukraine und Russland befinden sich in einem militärischen Patt. In der Ukraine steigt die Skepsis, ob ein Sieg gelingen kann. Mittlerweile reden auch westliche Partner zunehmend über Friedensverhandlungen. Immer mehr wird ein Szenario diskutiert, an dessen Ende ein neuer, eingefrorener Konflikt stehen könnte. Während der Westen kaum zu Gebietsabtretungen drängen wird, scheint dies eine Möglichkeit zu sein.

Es gibt bereits zahlreiche eingefrorene Konflikte in Osteuropa

Nach dem Zerfall der Sowjetunion gibt es zahlreiche eingefrorene Konflikte, in denen Russland separatistische Bestrebungen in postsowjetischen Staaten geschürt und Marionettenregime installiert wurden. Dazu gehören Transnistrien in der Republik Moldau und Südossetien und Abchasien in Georgien. In der Ukraine hatte Moskau 2014 die Volksrepubliken Südossetien und Abchasien installiert. Zusätzlich hat Russland im Laufe des Kriegs Cherson und Saporischschja annektiert.

Manche Experten vergleichen die Situation mit dem Koreakrieg

Experten befürchten, dass ein eingefrorener Konflikt mit Russland nur ein Sprungbrett für einen weiteren Angriff Moskaus sein könnte. Die humanitäre Katastrophe und der Terror in den besetzten Gebieten würden sich fortsetzen. Und Putin würde eine solche Scheinlösung der eigenen Bevölkerung als "Sieg" verkaufen. Andere Experten vergleichen die Ukraine mit dem Korea-Krieg, bei dem es auch nach 70 Jahren keinen Friedensvertrag und eine demilitarisierten Zone gibt. Keine Seite müsste neue Grenzen anerkennen. Der versprochene EU-Beitritt geriete in weitere Ferne. Gelöst würde damit auch keines der Probleme des Westens: weder die Energiefrage noch die Sorge vor einer Ausweitung des Konflikts noch die in Scherben liegende alte Weltordnung.

Donnerstag, 26. Oktober 2023

Wahlen in Polen - Willkommen zurück!

Viele Kommentatoren sind erleichtert über den Wahlsieg von Donald Tusk in Polen. 

Willkommen zurück

Jörg Lau kommentiert in der ZEIT  das Wahlergebnis: Willkommen zurück  Ein breites Bündnis liberaler Parteien – unter ihnen konservative Katholiken, Wirtschaftsliberale, Ökologen, Feministinnen, Bauernvertreter, urbane Eliten und laizistische Linke – hat gegen die regierenden Nationalkonservativen der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) eine klare Mehrheit gewonnen. Das Bündnis unter Donald Tusk hat gezeigt, wie man den Rechtspopulismus besiegen kann. Dabei konnte von einem fairen Wahlkampf keine Rede sein, da die regierende PIS Medien, Unternehmen und Justiz unter die Kontrolle gebracht hatte.

Ausschlaggebend war die hohe Wahlbeteiligung von Frauen und Erstwählern. Sie hoffen auf gesellschaftliche Liberalisierung – beim Thema Abtreibung und der Anerkennung für die LGBTQ-Gemeinschaft. Der polnische Präsident Duda kann den Regierungswechsel verzögern und in seiner Amtszeit Gesetze stoppen, dennoch ist der Autor hoffnungsfroh. Mit dieser Wahl ist Polen wieder ein Schlüsselland der europäischen Demokratie. Willkommen zurück!

Mahnung und Vorbild zugleich

Für Viktoria Großmann ist Polen Mahnung und Vorbild zugleich. In der Süddeutschen Zeitung betont sie, dass ganz Europa ein massives Problem mit populistischen und nationalistischen Parteien hat. Polen war etwas früher dran, kann nun aber zeigen, wie man so ein Problem zu lösen ist. Schneller als die Politik hat die Zivilgesellschaft reagiert. Organisationen streiten und demonstrieren für Bürgerrechte, freie Gerichte und die Opfer häuslicher Gewalt.

Was kann man aus dem Erfolg lernen

Jan Puhl lobt im SPIEGEL das Vorgehen von Donald Tusk: „Radikaler Pragmatismus statt Polemik“: Er hat die Mitte mobilisiert. Er hat sich dem Polarisierungswettbewerb entzogen und sich nicht auf Debatten eingelassen. Dies zeigt schon sein Symbol: ein rot umrandetes, weißes Herz. Der Autor warnt aber: Die PIS als rechtspopulistisches Phänomen ist nicht besiegt, sondern nur überstimmt worden. Sie bleibt stärkste Partei und stellt weiter den Präsidenten.

Samstag, 23. September 2023

Es gibt ein Recht auf Asyl, aber nicht auf Migration

Der Migrationsforscher Gerald Knaus äußert sich im SPIEGEL zu den aktuellen Vorschlägen zur Begrenzung der Migration.

Seeblockade und Grenzkontrollen bringen wenig

Kanus ist skeptisch gegenüber Seeblockaden. Den letzten Versuch 2009 haben europäische Gerichte verurteilt. Auch nationale Grenzkontrollen sieht er skeptisch: Frankreich und Österreich machen dies, die Zahl der Asylanträge hat sich dennoch erhöht. Grenzkontrollen würden alle Pendler betreffen und enorme Kosten verursachen. Kontrollen an den EU-Außengrenzen sind aus seiner Sicht nur mit Abkommen sinnvoll.

Die liberale Demokratie steht auf dem Spiel

Kanus sieht Gefahren für die liberale Demokratie. Er kritisiert das illegale zurückweisen an der Grenze: „An den Außengrenzen steht der Rechtsstaat auf dem Spiel“
Er befürchtet, dass das Modell Orban Schule macht. Er hatte 2015 das bevorstehende Ende der liberalen Demokratie bejubelt und Verschwörungstheorien befördert.

Seenotrettung und Menschen ohne Gewalt davon abhalten in Boote zu steigen

Knaus verteidigt das EU-Türkei-Abkommen, das sein Institut 2015 maßgeblich mitgestaltet hat: legal Flüchtlingen aufnehmen, irreguläre Migration durch rechtmäßige Rückführungen reduzieren. „Es ging darum, die Empathie, die es gab und gibt, mit Kontrolle zu verbinden.“
Das Abkommen hat damals seine Wirkung erzielt, es fehlte aber ein glaubhaftes Asylsystem in der Türkei.  Er fordert ein weiteres Abkommen: Der Türkei sollte bei der Betreuung der 3,5 Millionen Flüchtlinge geholfen werden und Menschen sollten leichter Visa erhalten. Dafür muss die Türkei Urteile des Menschengerichtshof akzeptieren und Menschen zurücknehmen.

Sichere Drittstaaten

Knaus fordert weitere Abkommen mit sicheren Drittstaat. Er zeigt Sympathie für das dänische Vorgehen, dass nicht nur die Verfahren dort stattfinden, sondern Menschen nach einem erfolgreichen Verfahren dort auch Schutz finden. Es gibt ein Recht auf Asyl, aber nicht auf Migration. Auch Großbritannien hatte vor, Asylsuchende nach Ruanda zu bringen. „Ein humanes System wäre eines mit mehr Seenotrettung und dem Ziel »null Tote«, ohne Rückführungen nach Libyen, Asylverfahren in wirklich sicheren Drittstaaten und dem Ausbau der legalen Aufnahme.“ Besonders die Perspektive für Menschen, visafrei nach Europa zu reisen, könnte die Regierungen anhalten, bei der Rücknahme zu kooperieren.

Das Modell Kanada

Knaus sieht in Kanada ein Vorbild: Wer irregulär nach Kanada kommt, wird in den sicheren Drittstaat USA zurückgeschickt. Dafür nimmt Kanada jährlich eine halbe Million Einwanderer auf, darunter 50.000 Flüchtlinge, die sofort integriert werden können. Auf Deutschland umgerechnet wären das mehr als 100.000 Flüchtlinge.

Keine irrationalen Ängste schüren

Knaus wendet sich gegen einen Diskurs, der irrationale Ängste schürt, da diese Empathie zerstören. Um Empathie zu erhalten, müssen Mehrheiten das Gefühl haben, dass es Kontrolle gibt, und verstehen, warum Menschen fliehen. Für die Politik ist daher humane Kontrolle der Weg, die Narrative von Rechtsextremisten zu kontern.

Montag, 18. September 2023

Migration: Über diese fünf Pläne streitet die Politik

Der SPIEGEL berichtet über verschiedene Vorschläge, wie die Zahl der Flüchtlinge reduziert werden könnte. Aktueller Anlass sind die vielen Flüchtlinge, die auf der europäischen Insel Lampedusa und in Europa ankommen. Viele Vorschläge sind seit langem bekannt und werden überschätzt – positiv wie negativ. Weder sind sie Allheilmittel noch Teufelszeug.

Obergrenze

Bayerns Ministerpräsident Söder forderte eine Obergrenze von 200.000 Asylbewerbern. Diese Zahl hatte bereits 2017 zu einer heftigen Debatte zwischen CDU und CSU geführt, letztlich einigte man sich auf einen politischen Wert, keine verbindliche Vorgabe.
Tatsächlich würde die Einhaltung einer festen Obergrenze mit dem Grundrecht auf Asyl kollidieren – und ist schon deshalb unrealistisch. Eine Debatte darüber, wie viele Menschen Deutschland integrieren kann, mag nötig sein – wird aber kurz- und mittelfristig nichts daran ändern, wie viele Asylsuchende herkommen.

Sichere Herkunftsstaaten

Einige fordern eine Ausweitung der Länder, die als sichere Herkunftsstaaten gelten. Gilt ein Land als »sicherer Herkunftsstaat«, gilt die Annahme, dass dort keine Verfolgung droht. Das beschleunigt die Asylverfahren. Antragssteller müssen nachweisen, dass ihnen dennoch Verfolgung droht.
Die meisten Menschen kommen aus Syrien, Afghanistan, Türkei, Irak und Iran - alles Länder, die nicht als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden können.
Allerdings muss auch die Rückführung funktionieren, ansonsten bleibt die abschreckende Wirkung begrenzt.

Migrationsabkommen

Migrationsabkommen sind die Voraussetzung dafür, dass andere Maßnahmen wirken können. Kritisiert wird hier, dass Vereinbarungen mit problematischen Partner geschlossen werden, zuletzt Tunesien. Kern des Abkommens: Tunesien bekommt Geld und muss im Gegenzug dafür sorgen, dass die Flüchtlingszahlen über die Mittelmeerroute sinken.
Derzeit kommen aber mehr Menschen, Gründe könnten eine Art Torschlusspanik unter Schleuern und Ausreisewilligen sein.
Der Abschluss des Abkommens stockt, ebenso wie andere geplante Abkommen. Als Vorbild dient das abkommen mit der Türkei, das anfangs gut funktioniert hat. Problematisch an solchen Abkommen ist, dass sich durch die Veränderung der politischen Lage auch die Vereinbarung in Frage gestellt wird.

Kampf gegen Schleuser

Eine weitere neu belebte Idee ist der Kampf gegen Schleusern. Konkret wird eine stärkere Überwachung der Grenzen gefordert. Aber auch hier gibt es Zweifel, denn die Verantwortlichen sitzen nicht in den Booten, sondern an Land. Eine weitere Befürchtung, dass die Menschen andere gefährlichere Routen nehmen: Dann wird irreguläre Migration nicht begrenzt, sondern nur teurer und tödlicher und am Ende ein Konjunkturprogramm für die Schlepper.«

Verfahren an den EU-Außengrenzen

Bereits im Juni haben sich die EU-Staaten auf eine Reform des Asylrechts geeinigt, dass Verfahren an den EU-Außengrenzen für Menschen vorsehen, die aus Ländern mit einer Anerkennung von weniger als 20 % kommen. Zweifel gibt es an der Umsetzung: Gibt es genügend Plätze in den Aufnahmeeinrichtungen? Nehmen die Herkunftsländer die Menschen auch wieder zurück? Hier schließt sich der Kreis zu den Migrationsabkommen.

Schlagwörter statt ernsthafter Bemühungen

Auch wenn die Zeit drängt – nicht zuletzt aufgrund der Wahlkämpfe. Dennoch sind schnelle Erfolge kaum zu erwarten. Der Migrationsexperte Gerald Knaus kritisiert die Schlagwörter und immer gleichen Forderungen. In der Tat finden sich im Kompromisspapier von CDU und CSU 2017 viele Forderungen, die heute wieder auf der Agenda stehen: Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern nach Vorbild des EU-Türkei-Abkommens, gemeinsame EU-Asylverfahren an den Außengrenzen sowie gemeinsame Abschiebungen von dort, Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten, vor allem Marokko, Algerien und Tunesien.

Mittwoch, 6. September 2023

Ukraine und EU: Warum der Beitritt unmöglich, aber zwingend ist

Hubert Wetzel beurteilt in der Süddeutschen Zeitung einen EU-Beitritt der Ukraine für „unmöglich, aber zwingend“.

Zeit der Vereinfacher, Populisten und Hetzer

Der Autor erinnert an die Debatte über die Osterweiterung der EU Anfang dieses Jahrhunderts. Das Schreckgespenst waren die polnischen Klempner, die ihren deutschen und französischen Kollegen die Arbeit wegmachen. Diese Diskussion droht erneut, wenn im Oktober über die nächste Runde von Erweiterungen gesprochen wird.

Drei Zwänge, die einander widersprechen

Im Mittelpunkt der Debatte steht die Ukraine - das mit Abstand größte und bevölkerungsreichste. An diesem Beispiel zeigen sich drei einander widersprechenden Zwänge.

Die EU muss die Ukraine aus geopolitischen Gründen aufnehmen:

Europa kann sich an seiner Ostgrenze keinen kriegszerstörten, halb besetzten, armen Dauerkonfliktherd mit 40 Millionen Einwohnern leisten. Außerdem darf Russland nicht belohnt werden.

Die Ukraine kann so, wie sie jetzt ist, nicht EU-Mitglied werden.

Neben dem Krieg leidet die Ukraine an Korruption, Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit und Oligarchen, die Politik und Wirtschaft mitbestimmen – alles Widersprüche zu den Aufnahmekriterien. Der Patriotismus hilft im Moment, könnte aber in Nationalismus und Revanchismus umschlagen – und nicht zum Friedensprojekt Europa passen.

Die Europäische Union kann, so wie sie jetzt ist, die Ukraine nicht aufnehmen.

Die EU ist ein gewaltiger Apparat, der Macht und Geld verteilt. Diese fein ausbalancierten Regeln würden sich grundlegend verändern - von der Stimmengewichtung im Rat über die Zahl der Sitze im Europaparlament bis zur Höhe der Beiträge und Subventionen, die EU-Länder bezahlen müssen oder bekommen. Das weiß in Brüssel jeder, aber die Vorstellungen dazu, wie sich dieses Problem lösen lässt, gehen weit auseinander.

Beitritt als schrittweiser Prozess

Wegeschauen ist keine Option. Der Autor schlägt einen schrittweisen Prozess als Alternative zur Vollmitgliedschaft vor: Die Integration in einigen Bereichen könnte schneller vorangehen als in anderen und auch pausieren, wenn vereinbarte Reformen stocken.
Auch die EU muss sich eine Strategie überlegen, da keine Regierung gerne Macht und Geld abgeben wird. Immerhin: „Angesichts dieses Berges an echten Problemen muss sich niemand vor ein paar ukrainischen Klempnern fürchten. Die wären, was sie damals auch nur waren - ein populistischer Popanz.“

Freitag, 11. August 2023

Wirtschaftskrise und Erfolg von Rechten: Deutschlands Weg in den Westen?

Joseph de Weck schreibt in seinem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung über die Wirtschaftskrise und den Erfolg von Rechten und fragt „Was wird aus Deutschland?“

Krisen haben auch Vorteile

Angesichts der schwächelnden Wirtschaft und der Erfolge der AfD folgert der Autor: Deutschland ist in der EU angekommen. Die Fragen nach der Abwendung der Deindustrialisierung und der Stagnation ist für ihn ein Teil des „langen Weg nach Westen“, den Heinrich August Winkler einst beschrieben hat. Vieles gibt es in anderen Ländern längst.

Die Globalisierung ist gut für viele, aber schlecht für Deutschland

Die deutsche Wirtschaft steht vor Problemen, denn die Exportunternehmen sind in den Schlüsselmärkten EU, USA und China unter Druck geraten. Auch Sozialabbau, Investitionen in Infrastruktur und Energiesubventionen werden an den Megatrends nichts ändern: Wissen und Wohlstand werden viel breiter über die fünf Kontinente verteilt, zum Glück - aber zum deutschen Unglück:

Zweite Zeitenwende nötig

Der Autor fordert, dass die Binnenwirtschaft und vor allem der Dienstleistungssektor zum Zugpferd werden: Der Staat muss mehr Geld ausgeben, um die Nachfrage zu stärken und sich auf liberale Reformen einigen. Deutschland soll also Schulden machen und gleichzeitig liberalisieren. Auch durch verstärkte Investitionen in die Verteidigung nähert sich Deutschland seinen Nachbarn an. Ebenso normal: Die Zersplitterung der politischen Landschaft: Auch die Deutschen müssen sich daran gewöhnen, mit dem Dauerzwist zwischen drei sehr ungleichen Regierungspartnern zu leben.

Droht ein Rechtsruck?

Auch den Aufstieg rechter Parteien haben andere Länder bereits erlebt. Deutschlands Reichtum, sein vorbildlicher Parlamentarismus und das Aufarbeiten der Nazi-Vergangenheit hielten rechtsextreme Kräfte bisher klein. Mit einer schwächelnden Wirtschaft droht der politische Nationalismus. Werden die Christdemokraten wie ihre Schwesterparteien auch mal gemeinsame Sache mit Rechtsaußen machen?

Führt Deutschlands Sonderweg wirklich nach Europa?

Für Europa ist Deutschlands Europäisierung auf den ersten Blick keine gute Nachricht. Denn die EU existiert heute, weil die Bundesrepublik lange Zeit ein europäischer Ausnahmefall war. Der europäische Staatenbund gedieh zur Erfolgsgeschichte, weil die Bundesrepublik dank ihrer ökonomischen Stärke und politischen Stabilität ein Fels in der Brandung war. Inzwischen ist diese  Haltung nicht mehr so eindeutig. Die CDU fordert die Einführung von Passkontrollen und die Ampelkoalition zeigte sich bei der Debatte um Verbrennungsmotor und den Schuldenregeln widerspenstig.

Entsteht nun endlich eine europäische Öffentlichkeit?

Trotz dieser Instabilität eröffnet die Normalisierung auch Chancen: die neue Verteidigungspolitik ist ein Gewinn für Europa. Das Hinterfragen von außenpolitischen Glaubenssätzen und wirtschaftlichen Dogmen eröffnet Spielräume.
Vor genau zwanzig Jahren schrieben die Philosophen Jacques Derrida und Jürgen Habermas, eine Vertiefung und weitere Demokratisierung der EU werde nur möglich, wenn eine "europäische Öffentlichkeit" entstehe. Deutschlands Normalisierung könnte diese Debatte führen: Die Europäer werden zwar nie dieselbe Sprache sprechen, aber sie können heute - anders als in der Nachkriegszeit - vergleichbare Diskurse führen.

Donnerstag, 27. Juli 2023

Brandmauer nach rechts auch im Europaparlament?

Auch im Europaparlament gibt es eine Debatte über Brandmauern nach rechts. In der Süddeutschen Zeitung fragt Josef Kelnberger, ob EVP-Chef Manfred Weber ein Bündnis mit den Rechten verfolgt.

Ist die Mauer im Europaparlament bereits eingerissen?

Es gab einige Anlässe, die Kritiker zum Schluss brachte, dass die Mauer bereits eingerissen ist. Er bündelte mit der italienischen Ministerpräsidentin Meloni an unterstützte – zumindest indirekt – auch ein Bündnis der spanischen konservativen mit der rechten Vox. Gegen Kommissionspräsidentin kämpfte er gegen das „Gesetz zur Wiederherstellung der Natur" - im Schulterschluss mit den Rechtspopulisten der Fraktion EKR (samt Giorgia Melonis Fratelli) und den Rechtsextremen der Fraktion ID (samt AfD und Le Pens Front National)

Webers Ruf als Stratege erschüttert

Sowohl das Rechtsbündnis in Spanien als auch der Widerstand gegen das Naturschutzgesetz scheiterte – Webers Ruf ist erschüttert: Wer seine Leute in eine solch riskante Schlacht führt, sollte sie auch gewinnen. Aber Manfred Weber hat verloren. Siegerin in beiden Fällen Kommissionspräsidentin von der Leyen. Für den Autor ist es schwer vorstellbar, wie ein Wahlkampf zwischen ihr als möglicher Spitzenkandidatin und Werber funktionieren soll.

Drohender Rechtsruck in Europa

Umfragen prophezeien für die Europawahlen einen massiven Rechtsruck, dazu passt der Höhenflug der AfD in Deutschland. Anders als zuletzt in Italien, Schweden oder Finnland verloren die Rechtsextremen die Wahl in Spanien. Wenn Spitzenkandidat Alberto Núñez Feijóo Ministerpräsident werden will, muss er eine Mehrheit in der demokratischen Mitte finden.

Donnerstag, 29. Juni 2023

Der Asylkompromiss – eine notwendige Zumutung, um Europa zu retten?

Die EU verschärft die Asylregeln

Die Süddeutsche Zeitung gibt einen Überblick über die Pläne der EU zur Verschärfung des Asylrechts.
Im Mittelpunkt stehen zwei neue Gesetze zur Erfassung von Flüchtlingen und zur Verteilung.

Schnellverfahren an der Grenze

Alle Flüchtlinge sollen bei der Ankunft erfasst werden. Anschließend erfolgt eine Unterteilung in ein normales Verfahren und Schnellverfahren für Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsstaaten. Dieses Schnellverfahren sieht haftähnliche Bedingungen für maximal 12 Wochen, bei Ablehnung droht eine Rückführung in sichere Drittstaaten

Verteilung auf EU-Länder

Bei hohen Ankunftszahlen ist eine Verteilung auf andere EU-Länder vorgesehen, eine Verpflichtung von der man sich freikaufen kann. Außerdem sind weitere Rücknahmeabkommen mit Anrainerstaaten geplant, verhandelt wird aktuell mit Tunesien und Ägypten.

Notwendige Zumutung, um Europa zu retten

An diesen Regeln gab es viel Kritik, aber auch Verständnis. Stellvertretend für diese Ansicht stelle ich den Kommentar von Ralf Neukirch im SPIEGEL vor. Er hält den Kompromiss für eine notwendige Zumutung, um Europa zu retten.

Zumutungen, aber keine echte Alternative 

Der Beschluss enthält Zumutungen, so die gewünschte abschreckende Wirkung und Einrichtungen, die wie Gefängnisse funktionieren. Andererseits überfordert der Zuzug von Flüchtlingen derzeit viele Länder. Die Alternative wäre keine humanitärere Migrationspolitik, sondern die Einführung von Grenzkontrollen gewesen.

Sinnvolle Elemente des Kompromisses

In vielen Ländern gibt es eine Stimmung, die sich zunehmend gegen Migranten richtet. „Der Luxemburger Kompromiss ist ein Versuch, dieses Problem anzugehen. Die Mitgliedstaaten wollen Einwanderung steuern und begrenzen – und damit auch Europa retten.“ Es ist sinnvoll, einen Teil der Entscheidung über die Einreise bereits an der EU-Außengrenze zu treffen und auch der verpflichtende Solidaritätsmechanismus ist ein Fortschritt.

Kritik ernstnehmen

Auch die Kritik am neuen System muss ernst genommen werden: Die Einrichtungen an der Grenze müssen humanitären Standards genügen, nur dann sind sie zu rechtfertigen. Sichergestellt werden muss auch, dass Menschen mit Anspruch auf Schutz diesen erhalten. Wichtig werden auch Vereinbarungen mit den Ländern, abgelehnte Asylbewerber wieder aufnehmen sollen. „Nichts zu tun wäre aber die größere Gefahr für Europa. Und auch für viele Migranten, die schutzbedürftig sind.“


Donnerstag, 8. Juni 2023

Türkei-Wahl: Ein Sieg des Nationalismus, eine Herausforderung für die EU

Lenz Jacobsen beschreibt in der ZEIT  treffend die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen: Ein Sieg des Nationalismus, eine Herausforderung für die EU

Seine Schlussfolgerungen:

1.    Erdoğan kann nur noch mit unfairen Mitteln gewinnen

Die Zahlen sind erschütternd: Über 16.700 wurden 2022 angeklagt, weil sie Erdogan „beleidigt“ haben sollen, davon über 1000 Kinder. In den Medien gab es ein groteskes Übergewicht bei der Berichterstattung für Erdogan, dennoch hat er nur knapp gewonnen.. Er bleibt nur im Amt, weil er das Land in den vergangenen Jahren zu seinem Vorteil umgebaut hat: Medien, Justiz, Wirtschaft. Erdoğan ist ein Wahlsieger von eigenen Gnaden.

2.     Die Türkei ist nicht nur Erdoğan

Man darf die Türkei nicht mit Erdogan gleichsetzen. Bei der Wahl haben sich Oppositionelle aus verschiedenen Lagern zusammengetan, die Sehnsucht nach einer andern Türkei wird bleiben.

3.    Der Nationalismus hat (mal wieder) gewonnen

Mit drastischen Worten hat auch Oppositionskandidat  Kılıçdaroğlu gegen syrische Flüchtlinge gewettert. Aber auch der Präsident setze auf nationalistische Töne. Türkischer Nationalismus prägt das Land jenseits von links und rechts, er ist seit der Gründung des Landes vor hundert Jahren immanent. Mit dieser Wahl drängt er aus der Tiefe an die Macht.

4.     Polarisierung treibt die Menschen zur Wahl

In beiden Wahlgängen war die Wahlbeteiligung hoch. Sie ist auch Resultat einer starken Polarisierung. Die  vielen Wahlbeobachter sind kein Zeichen von demokratischer Stärke, sondern Zeichen des mangelnden Vertrauens und der Angst vor Manipulation.

5.    Erst ein Sommerhoch, dann der Wirtschaftsabsturz

Während der Sommer dank Tourismus noch einigermaßen glimpflich ablaufen dürften, droht ein Wirtschafsabsturz. Es drohen weiter Inflation und ein Braindrain, viele jungen Menschen möchten das Land verlassen.

6.    Die EU müsste sich (eigentlich) etwas Neues einfallen lassen

Bei manchen Europäern zeigte sich zynische Hoffnung: Lieber weiter mit dem gewöhnten Erdogan als die Unsicherheit durch einen Machtwechsel. Es ist aber ein Problem, dass es weiter geht wie bisher. Formal ist die Türkei weiter Beitrittskandidat, mit der echten Bedeutung hat dies nicht zu tun.

Für Erdgogan ist Europa Partner und Feindbild gleichzeitig – er wechselt zwischen nüchterner Interessenpolitik und lauten Schimpftiraden. Besonders Deutschland ist vielfalch verstrickt, sodass ein besonderes Engagement notwendig ist.

7.    Autokraten lassen sich (fast) nicht abwählen

Die Wahl zeigte ein weiteres Mal, dass sich Autokraten nicht einfach abwählen lassen. Studien zeigen, dass dies nur in wenigen Fällen gelingt. Hoffnung geen die 48 Prozent für die Opposition und die Kommunalwahlen im nächsten Jahr. Es geht um mehr als einen Urnengang, es geht um Beharrlichkeit. Ein Autokrat, der ständig gegen demokratischen Widerstand kämpfen muss, wird so zumindest gebremst.

Freitag, 26. Mai 2023

Abkommen könnten die europäische Migrationspolitik retten

In diesem Eintrag stelle ich zwei Artikel vor, die auf Abkommen mit Herkunftsländer setzen. Beide sehen massive Probleme für die EU, wenn dies nicht gelingt.

 "Wenn man wieder nichts hinbekommt, hat die EU ein Riesenproblem"

Auf Abkommen mit den Herkunftsländern setzt der Migrationsforscher Daniel Thym in einem Interview in der ZEIT.  Thym unterstützt die Idee, Verfahren an den EU-Außengrenzen durchzuführen. Da jeder Antrag individuell geprüft wird, bleibt das Asylrecht im Kern erhalten. Ein Problem wird die Sekundärmigration, die Menschen die von Spanien und Griechenland in andere Länder weiterreisen.

 Quoten, Kontingente, Resettlement – und effektive Rückführungen

Thym kritisiert, dass das europäische Asylrecht recht großzügig ist, andererseits alles unternommen wird, damit es möglichst niemand in Anspruch nimmt. Durch die abschreckenden Maßnahmen findet eine unfaire Selektion statt, da vor allem junge Männer kommen. Sein Vorschlag: schutzbedürftigen Menschen über Quoten, Kontingente und Resettlement helfen. Parallel fordert er effektive Rückführung ausreisepflichtiger Personen und legale Zugangswege.

Rechtliche Grundlagen

Thym betont die Unterschiede zwischen den Grundlagen: Die Genfer Flüchtlingskonvention ist nicht so streng und deckt das Vorgehen der USA und Australiens mit schnellen Verfahren und restriktiven Ma0nahmen ab. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist viel strenger, Er schützt auch Menschen vor nichtstaatlicher Verfolgung und vor Bürgerkriegen. Obergrenzen sind nicht möglich, sehr wohl aber Maßnahmen, dass weniger Menschen kommen.

Unterstützung für Italien und Griechenland

Thym fordert einheitliche und faire Verfahren an der Grenze. Langfristig sollten EU-Behörden das Verfahren übernehmen, um Kleinstaaterei im Innern und die Festung Europa nach außen zu verhindern.

 

Das deutsche Asyltheater zwischen Bund und Kommunen hilft nur der AfD

Steffen Lüdke kritisiert im SPIEGEL  die Flüchtlingsdebatte zwischen Bund und Länder, die mit der Realität an der EU-Außengrenze wenig zu tun hat – und am Ende nur der AfD hilft.

Falsche Versprechungen

Der tagelange Streit zwischen Bund und Ländern diente vor allem einem Zweck: Das deutsche Publikum sollte offensichtlich den Eindruck gewinnen, dass die hohe Zahl von Asylbewerbern endlich reduziert würde. Bereits jetzt ist Europa eingezäunt, Asylsuchende werden in Griechenland und Kroatien brutal zurückgedrängt. Die Forderung nach einem „physischen Schutz der Außengrenze“ erscheint hier bemerkenswert ahnungslos.

Alte und unrealistische Vorschläge

Einige der diskutierten Vorschläge sind alt – und nicht realistisch, wie der Gedanke ein Land mitten in Europa durch Grenzkontrollen abzuschotten. Auch der Vorschlag einer spezialisierten Einheit für Rückforderungen ist nicht zielführend, denn Abschiebungen scheitern in der Regel an den Herkunftsstaaten. „Das deutsche Asyltheater wird enttäuschte Wählerinnen und Wähler hinterlassen. Am Ende dürfte es einmal mehr nur die AfD stärken.“

Gemeinsame europäische Migrationspolitik ist notwendig

Die EU-Kommission hat bereits vor zwei Jahren Schnellverfahren an der Außengrenze vorgeschlagen. Der Autor hält es aber für unwahrscheinlich, wenn sich die Europäer auf eine gemeinsame Position finden. Die Mittelmeerstaaten dürften den Asylverfahren an ihren Grenzen nicht zustimmen, die Herkunftsländer werden die abgelehnten Asylbewerber nicht zurücknehmen. Dennoch wären diese Abkommen wichtig: Deutschland ermöglicht mehr legale Einwanderung, dafür nehmen die Partnerstaaten abgelehnte Asylbewerber zurück.

Migrationsdiplomatie ist mühselig

Die Verhandlungen sind schwierig, das Angebot an die Aufnahmestaaten muss so gut sein, dass die Abkommen nicht bei jedem Stimmungswechsel in sich zusammenfallen. „Gerade deshalb bräuchte es das, worauf der Kanzler normalerweise besonders stolz ist: effiziente Arbeit hinter den Kulissen – und weniger Theater.“

 

Freitag, 19. Mai 2023

Die europäische Migrationspolitik ist gescheitert

In meinen Beiträgen geht es diesen Monat mal wieder um die Migrationspolitik. Über einen tollen Vortrag zur globalen Migration berichte ich im Blog Politik verstehen. In diesem Beitrag geht es um zwei Kommentare in der Süddeutschen Zeitung  

Die Asylpolitik in Europa ist bankrott

Heribert Prantl kritisiert in der Süddeutschen Zeitung die Asylpolitik scharf. Er beklagt, dass seit 2014 über 25.000 Menschen im Mittelmeer gestorben. Aktuell in Deutschland und Europa diskutierten Vorschläge nach einer verstärkten Abschreckung erteilt er eine Absage. Die vorgeschlagenen Maßnahmen lassen von der Genfer Flüchtlingskonvention nicht mehr viel übrig. „Es gibt in der EU starke Tendenzen zu einer Trumpisierung, Salvinisierung, PiS-isierung und Orbánisierung der Asylpolitik, die aber einen wohlklingenden Namen tragen: "New Pact on Migration and Asylum" ist einer davon.

Entrechtungsmaßnahmen

Zu den „Entrechtungsmaßnahmen gehört die Ausweitung des Konzepts der sicheren Drittstaaten, Kriminalisierung der Seenotrettung, Unterstützung von Folterstaaten, die Küstenwache und das Konzept, Flüchtlinge in andere Staaten zu verfrachten. Auch die Forderung nach dem Bau von Mauern kritisiert er.

Europa muss nicht alle aufnehmen

Er betont, dass Europa nicht alle aufnehmen muss, die umfassende Illegalisierung muss aber beendet werden. „Europa muss legale Wege für Migration öffnen und befestigen - und damit klarmachen, dass es nicht einfach darum geht, die Flüchtlingszahlen niederzuknüppeln, sondern darum, Schutz und Hilfe auf einen guten Weg zu bringen.“

 

Wir brauchen schmutzige Deals

Auch Josef Kelnberger sieht die Europäische Migrationspolitik als gescheitert an. In der Süddeutschen Zeitung zieht er allerdings ein anderes Fazit: Wir brauchen schmutzigen Deal.
Alle Versuche einer europäischen Asylpolitik gescheitert, selbst bei der freiwilligen Seenotrettung steht nur noch Luxemburg auf der deutschen Seite. Viele Kommentare bezeichnen das Vorgehen der EU als zynisch. Eine der reichsten Regionen der Welt mit der Humanität als Wesenskern verbarrikadiert sich hinter Mauern und zahlt Autokraten und Milizionären viel Geld, um Menschen abzuhalten nach Europa zu kommen.

Je moralischer die Politik ist, desto größer wird das Problem

Es ist ein Gefühl der Machtlosigkeit, der Glaube an die Steuerungsfähigkeit stößt an die Grenzen.Es ist zu befürchten, dass Kriege und Klimawandel sogar noch mehr Menschen dazu bringt, den globalen Süden zu verlassen. Die Migrationsfrage ist aber mitverantwortlich für das Ansteigen rechter Parteien, viele Staaten fühlen sich überfordert: Mit den moralischen Standards, die Merkels Politik zugrunde lagen, lässt sich keine europäische Politik machen.

Alte Ideen wieder aktuell

Im Moment sind wieder Vorschläge aktuell, es werden „hohe Mauern und Zäune“ und Asyllager an den Außengrenze gefordert. Auch die „freiwillige Solidarität“ hat wieder Konjunktur, als das Prinzip, dass man sich freikaufen kann. Sollte Marine Le Pen in Frankreich zur Präsidentin gewählt werden, würde das vermutlich das Ende jeglicher europäischer Migrationspolitik bedeuten.Die Lage ist so verfahren, dass die Hoffnung im Zynismus liegt.

Mit Herkunftsländer über Wege der Migration verhandeln

Der Autor sieht die Lösung in Abkommen mit Herkunftsländern. „so schmutzig und unvollkommen er auch wirken mag“. Die Spielräume muss die EU nutzen, um über reguläre Migrationswege zu verhandeln und auch die Seenotrettung neu zu  organisieren. Die Alternative – gar kein Abkommen und ein Scheitern der EU – wäre noch schlimmer, denn was „ein zerfallendes Europa die blanke Unmenschlichkeit an seinen Grenzen bedeutet, dürfte jeder Realist prognostizieren, nicht der Zyniker.“