Dienstag, 21. Juni 2022

EU-Beitritt der Ukraine - was spricht dafür, was dagegen?

Die ZEIT und der Deutschlandfunk bringen interessante Gegenüberstellung von Argumenten für bzw. gegen einen EU-Beitritt der Ukraine – oder besser gesagt dem Status als Beitrittskandidat, denn weitgehende Einigkeit herrscht in der Frage, dass der Beitritt selbst in jedem Fall noch in weiter Zukunft liegt.

Was für den Beitrittsstatus spricht

Im Artikel des Deutschlandfunks wird als wichtiges Argument genannt, dass die Ukraine unterstützt und an die EU gebunden werden muss. Da der Weg in die NATO versperrt ist, wäre die Annäherung an die EU ein klares Signal.
Matthias Krupa betont die moralische Verpflichtung – mit seinem Krieg gegen die Ukraine meint Putin auch den Westen und die EU. Langfristig liegt ein Beitritt der Ukraine im Interesse Europas: Er würde die Verhältnisse klären, die Union nach Osten absichern.

Was gegen den Beitrittsstatus spricht

Der Deutschlandfunk führt als Gegenargumente die unklaren territorialen Verhältnisse auf. Auch in der Korruption sehen vielen ein Hindernis. Der Widerstand ist bei manchen Ländern auch durch die Angst um Einfluss und Geld begründet.
Ladurner verweist in der ZEIT auf die Probleme: Er bemängelt, das Verhalten gegen den Beitritts-kandidaten auf dem Balkan, vor allem Nordmazedonien. Eine Vorzugsbehandlung der Ukraine könnte für weiteren Unmut sorgen. Auch der polnischen Regierung nimmer er den plötzlichen Sinneswandel vom vehementen Gegner der EU zum Freund der Erweiterung macht. Er mutet, dass Polen ein von kooperierenden Nationalstaaten vorschwebt, die die keine weiteren Abstriche bei ihrer Souveränität machen. Ein starker geopolitischer Akteur

Die EU muss sich reformieren

Weitgehende Einigkeit herrscht auch darüber, dass sich die EU an vielen Stellen selbst reformieren muss, egal ob und wann die nächsten Erweiterungen kommen.

Donnerstag, 9. Juni 2022

Was der Westen über Putin (immer noch) nicht versteht

Tatiana Stanovaya ist Politologin am Carnegie Moscow Center. In einem Gastbeitrag für den SPIEGEL beschreibt sie fünf Annahmen des Westens über Putin, die ihrer Meinung nach falsch sind. Die unterschiedlichen Sichtweisen und das fehlende Verständnis, Russlands Absichten zu verstehen und zu begreifen, machten aus ihrer Sicht eine Lösung des Konflikts so schwer.

Fünf falsche Annahmen

Annahme 1: Putin weiß, dass er verlieren wird.

Putin wird die Ukraine nicht dauerhaft beherrschen können. Dies bedeutet aber nicht, dass Putins andere Ziele nicht gelingt - die Zerstörung der Ukraine, die er als ein »Anti-Russland«-Projekt sieht.
Russland könnte seine militärische Präsenz auf ukrainischem Gebiet aufrechterhalten und die ukrainische Infrastruktur weiterhin angreifen und damit ein weiteres Ziel erreichen, dass der Westen das ukrainische Territorium als Brückenkopf für antirussische geopolitische Aktivitäten nutzen kann

Annahme 2: Der Westen sollte einen Weg finden, Putin zu helfen, sein Gesicht zu wahren, und so die Risiken einer weiteren, möglicherweise nuklearen Eskalation zu verringern.

Die Autorin bezweifelt, dass der Krieg beendet würde, wenn die Ukraine einen Großteil der Forderungen akzeptieren würde.  Putin sieht sich im Kampf gegen den Westen auf ukrainischem Gebiet – die ukrainische Führung ist für ihn kein unabhängiger Akteur, sondern ein westliches Werkzeug, das neutralisiert werden muss.

Annahme 3: Putin verliert nicht nur militärisch, sondern auch innenpolitisch, und die politische Lage in Russland ist so, dass Putin bald ein Putsch drohen könnte.

Auch diese Annahme teilt die Autorin nicht. Die russische Elite sieht in Putin den einzigen Akteur, der politische Stabilität gewährleisten kann. Die Elite ist politisch ohnmächtig, verängstigt und verwundbar – einschließlich derjenigen, die in den westlichen Medien als Kriegstreiber und Falken dargestellt werden

Annahme 4: Putin hat Angst vor Anti-Kriegs-Protesten.

Auch diese Annahme sieht die Autorin genau andersrum: In Wahrheit fürchtet Putin eher die Pro-Kriegs-Proteste und muss sich mit dem Eifer vieler Russen auseinandersetzen, die jene vernichten wollen, die sie als ukrainische Nazis bezeichnen. Die öffentliche Stimmung könnte eine Eskalation begünstigen und Putin zu einer härteren und entschlosseneren Haltung veranlassen –
Wenig Hoffnung macht sie auch für die Hoffnung für die Zeit nach Putin: Was auch immer mit Putin geschieht: Die Welt wird sich mit dieser Aggressivität in der Öffentlichkeit und den antiwestlichen, antiliberalen Überzeugungen auseinandersetzen müssen, die Russland für den Westen so problematisch machen.

Annahme 5: Putin ist von seiner Entourage zutiefst enttäuscht und hat grünes Licht für die strafrechtliche Verfolgung von hochrangigen Beamten gegeben.


Die Autorin bestreitet die Gerüchte, dass Personen in Putins Umfeld verhaftet wurden. Das sei nicht Putins Stil, außerdem erfolgte die Planung durch Putin, sodass untergeordnete Stetten kaum Spielraum für Eigeninitiative haben

Auswege aus der Konfrontation

Das vermeintliche Dilemma des Westens – mehr Unterstützung für die Ukraine oder Appeasement gegenüber Putin, um ihn nicht zu reizen – hält die Autorin für grundlegend falsch.
Sie sieht vielmehr nur zwei Auswege: Entweder der Westen beginnt seine Haltung gegenüber Russland zu ändern – oder Putins Regime bricht zusammen. Putin träumt von Umwälzungen im Westen, der Westen träumt vom Sturz Putins. Letztlich wird es ein Abkommen geben müssen, sie befürchtet aber noch einen langen Krieg

Samstag, 4. Juni 2022

Putin? Gar nicht so übel

Der Westen ist einigermaßen geschlossen, von einer weltweiten Ablehnung Russlands kann aber keine Rede sein machen Lea Frehse und Xifan Yang in einem Artikel in der ZEIT deutlich.

Viele Länder tragen die Sanktionen nicht mit

Viele Länder, die sich bei der Verurteilung des russischen Überfalls im UN-Sicherheitsrat enthalten oder zugestimmt halten, tragen die Sanktionen gegen Moskau nicht mit – im Gegenteil: Indien bezieht zwanzigmal mehr Öl und Gas als vor dem Überfall. Zwei Drittel der Weltbevölkerung liegt zwischen den geopolitischen Polen und aus unterschiedlichen Gründen gibt es durchaus Sympathie für Putin. 

Motive für die Solidarität mit Russland

Die Autorinnen nennen verschiedene Motive für dieses Verhalten.

1. Das Erbe des Kolonialismus

Viele Staatschefs protestierten gegen die Forderungen des Westens, sich den Ma0ßnahmen anzuschließen und stoßen dabei auf Zustimmung in der Bevölkerung. Russland profilierte sich in den letzten Jahren als Partner, während der Westen immer wieder kritisiert wurde, zuletzt aufgrund der Verteilung von Impfstoffen.

2. Rebellion gegen die Doppelmoral

Kritisiert wird, dass auch die USA das Völkerrecht gebrochen hat. Auch in der aktuellen Hungersnot in Afrika fühlen sich benachteiligt, da Ukraine im Fokus steht.

3. Die Kosten des Krieges

Durch die steigenden Preise für Lebensmittel droht Hunger, viele Länder drohen zu kollabieren. Sie können nicht verzichten, wie einige im Westen verlangen.

4. Russland wird noch gebraucht

Für zahlreiche Länder gibt es handfeste geostrategische Gründe, Russland als Spieler in den internationalen Beziehungen zu erhalten – oder auf Moskau Rücksicht zu nehmen. Indien sieht eine strategische Chance, so sind die Preisnachlässe für die Wirtschaft gebrauchen. Mit seiner Neutralität will Delhi außerdem verhindern, dass Russland endgültig ins Lager des Konkurrenten Chinas wechselt – und kann Vorteile daraus ziehen, dass der Westen sich um die indische Gunst bemühen muss

5. Was heißt hier Weltordnung?

Die wenigsten Länder wollen sich auf eine Seite schlagen – für mehr als 120 Länder ist China der wichtigste Partner. Die Länder verweisen auf den Reformbedarf, denn sie sind vom UN-Organisationen immer noch unterrepräsentiert. 

Bauen Autokratien ihren Einfluss aus?

Die Autorinnen sind skeptisch, ob eine Weltordnung unter Berücksichtigung benachteiligter Länder eine echte globale Solidarität schafft: Läuft es am Ende nur darauf hinaus, dass Autokraten ihren Einfluss ausbauen?