Freitag, 20. Dezember 2024

Die Zahl der Flüchtlinge in der EU ist gesunken - die Debatte bleibt

Josef Kelnberger analysiert in der Süddeutschen Zeitung die Asylpolitik der EU in den letzten Monaten.

Hoffnung auf Wandel in Syrien  

Die Anforderungen und Hoffnungen für die neue Regierungen Syriens sind groß: Territoriale Integrität, Bekämpfung des Terrorismus, Achtung von Menschenrechten, Frauenrechten, Minderheitenrechten.
Die EU will einen Beitrag leisten, damit syrische Flüchtlinge eine „sichere, freiwillige, würdevolle Heimkehr“ ermöglicht wird. Andere wollen sie möglichst schnell zurückschicken - auch gegen deren Willen. Ob das gelingt ist fraglich: Im Idealfall bleiben die gut Integrierten und andere kehren zurück. Im schlimmsten Fall eines Chaos machen sich noch mehr Menschen auf den Weg.

EU-Partnerschaftsverträge haben einen Effekt

In den letzten Monaten hat die Kommission einige Partnerschaftsverträge erreicht, um Migranten von der Überfahrt abzuhalten. Schaut man auf die sinkenden Zahlen- rund 40 % weniger als im Vorjahr hat diese Strategie funktioniert.

Asylrechtsreform umsetzen

Nun geht es darum die Entscheidungen vom April umzusetzen. Einstieg in die solidarische Verteilung von Asylbewerbern – in zwei Jahren soll das System greifen. Dennoch gibt es weiter Diskussionen um verschärfte Maßnahmen. Einige Staaten angeführt von Italien wollen mit Druck erreichen, dass die Länder ihre Bürger zurücknehmen. Polens Ministerpräsident Donald Tusk hat das Recht auf Asyl an der Ostgrenze einschränken lassen, da er davon ausgeht, dass Russland Migranten gezielt als „Waffe“ einsetzt.

Forderung nach faktischem Aufnahmestopp führt zu einem Knall

Das Wahlprogramm von CDU und CSU wollen weinen faktischen Aufnahmestopp: Alle Flüchtlinge, die aus der EU und dem Schengen-Raum kommen und einen Asylantrag stellen wollen, sollen zurückgewiesen werden. Der Autor befürchtet einen Knall, da die europäische Asylrechtsreform ist darauf angelegt ist, Schritt für Schritt zu einer gerechten Verteilung der Lasten in Europa zu kommen. Die Methode Merz würde bedeuten: Es knallt in Europa.

Auslagerung in andere Länder sind Gedankenspiele

Auch die von CDU und CSU geforderte Auslagerung der Asylverfahren in Drittstaaten sind bisher noch Gedankenspiele. Ursula von Leyen nennt diese „innovative Ideen“: Tenor: kompliziert, muss weiter geprüft werden.

Mittwoch, 11. Dezember 2024

Europas größtes Freihandelsabkommen: Die Gegner sabotieren das europäische Projekt

Jan Diesteldorf beklagt in der Süddeutschen Zeitung, dass Gegner die Freihandelszone mit südamerikanischen Staaten sabotiert.

Freihandelsabkommen mit Südamerika ist notwendig

Das Abkommen mit dem Mercosur-Staatenbund wird seit 25 Jahren verhandelt – und ist nach Ansicht des Autors dringend notwendig. Die Welt sieht ganz anders aus als 1999 – „bedroht von Russlands Aggression und dem Weltmachtstreben eines autoritären Chinas, vom Islamismus erschüttert, der Klimakrise ausgeliefert. Die Globalisierung ist ausgebremst, das industrielle Geschäftsmodell Europas wackelt, es sind Kräfte erfolgreich, die mit Angst und Lügen Politik machen.“

Eine starke politische Bindungswirkung

Das Handelsabkommen mit Mercosur wäre deshalb ein mächtiges Mittel. Mineralstoffe, Chemieprodukte und Lebensmittel werden schon bisher gehandelt. Durch den Wegfall von Zöllen, bei gleichzeitiger Verankerung von Umweltstandards könnten der Handel ausgebaut werden. Durch die drohenden Handelskonflikte mit China und den USA braucht die EU dieses Abkommen– für die Industrie, für ihre Dienstleister und, ja, auch und gerade für ihre Landwirte und Lebensmittelerzeuger.

Man muss nur „Chlorhühnchen“ oder „Hormonfleisch“ rufen

Der Widerstand gegen das Abkommen, denn Freihandel taugt zur Mobilisierung. Es reicht, „Chlorhühnchen“ oder „Hormonfleisch“ zu rufen, schon stehen Umweltschützer und Sozialverbände Seite an Seite mit der Agrarlobby und rechtsradikalen Demagogen. Obwohl der Text noch gar nicht veröffentlicht waren, nannten viele den Text bereits inakzeptabel. Negativ sticht dabei der französische Präsident hervor, der einerseits Europa zur dritten Supermacht machen will, jetzt aber „weiterhin unermüdlich die landwirtschaftliche Souveränität“ Frankreichs verteidigt. Es geht nur um minimale Mengen und Frankreich importiert ohnehin so gut wie kein Fleisch aus Südamerika. Egal. Hauptsache, dagegen.

Die Gegner des Abkommens sabotieren das europäische Projekt

Die EU-Mitgliedstaaten stimmen im Sommer ab – genügend Zeit gegen das Abkommen mobil zu machen. Es steht eine hässliche Auseinandersetzung bevor, in der die EU-Kommission den Kampf um die Deutungshoheit gewinnen muss. Die Gegner des Abkommens sabotieren das europäische Projekt. Sie dürfen mit ihrer wahnwitzigen Opposition nicht weit kommen.

Freitag, 29. November 2024

Hat die neue EU-Kommission dazugelernt?

Hubert Wetzel kommentiert in der Süddeutschen Zeitung die neue EU-Kommission – und hofft, dass diese die Fehler der bisherigen Kommission korrigieren kann.

Die neue Kommission als Reparaturbetrieb

Durch das Parteiengezänk verlief der Start holprig, letztlich wurden aber alle vorgeschlagenen Kommissare bestätigt. Gleichgeblieben ist die Präsidentin – Ursula von der Leyen. Wenn sie ein Programm fordert, dass Europa wirtschaftlich stärker, wehrhafter gegenüber Russland und insgesamt krisenfester machen soll, ist dies auch ein Eingeständnis, dass es hier Probleme gibt. Der Autor bezeichnet die neue Kommission als „eine Art Reparaturteam, das Fehler und Versäumnisse der Von-der-Leyen-Kommission I korrigieren muss.“

Korrekturen beim Klimaschutz und der Migration

In der ersten Amtszeit stand der Grüne Deal im Vordergrund, der Europas Wirtschaft klimaneutral machen soll. Jetzt soll stärker berücksichtigt werden, dass Europa moderne, hochwertige, gut bezahlte Industriearbeitsplätze braucht. Auch bei der Migration hat sich die Kommission vor Entscheidungen gedrückt, die schwierig aber notwendig sind. Es ist dieser neuen politischen Realität geschuldet, dass Europas Umgang mit Flüchtlingen und Migranten künftig härter sein wird.

Kommission in schwierigen Zeiten wichtig

Dinge zu verändern, wenn sich die Umstände verändern sollten nicht als Malus gesehen werden. Da in Frankreich und Deutschland angeschlagene Regierungen herrschen, im Osten ein Krieg tobt und Donald Trumps erneute Präsidentschaft näher rückt, wird die Kommission wichtiger. Sie muss Rückhalt bei den Regierungen haben und kompetentes Personal haben. Für den Autor ist dies der Fall „auch wenn ihr Anfang nicht besonders zauberhaft war.“

Dienstag, 8. Oktober 2024

Asylpolitik in Europa: Verheddert im Recht

Paul Middelhoff und Heinrich Wefing analysieren in der ZEIT die Asylpolitik in Europa: Verheddert im Recht.

Beschlüsse werden nicht in Berlin getroffen

Die deutsche Debatte über Zuwanderung steckt in einer Illusion und einer Lebenslüge. Einerseits, weil die genannten Lösungen wie die Zurückweisungen allein nicht die Lösung sein werden, andererseits, weil die Beschlüsse über die Asylpolitik längst nicht mehr auf nationalstaatlicher Ebene getroffen werden. Die Regeln sind kodifiziert in Konventionen, Grundrechtekatalogen, gemeinschaftlichen Normen, und sie werden ausgelegt und überprüft von europäischen Gerichten.

Grundgesetzänderung würde wenig ändern

Auch die vom bayerischen Ministerpräsident Markus Söder geforderte Abschaffung des individuellen Rechts würde wenig ändern – weder ist eine Zweidrittelmehrheit in Sicht, noch würde es viel ändern, da nur ein Bruchteil der Menschen Asyl nach Artikel 16a bekommen. Der Großteil bekommt Schutz aufgrund von unterschiedlichen internationalen Normen, angefangen bei der Genfer Flüchtlingskonvention über die Europäische Menschenrechtskonvention bis hin zur Grundrechtecharta der EU.

Der Einfluss europäischer Gerichte auf die Migrationspolitik

Die Gerichte haben den Schutz in den letzten Jahren ausgebaut, z.B. dem Schutz vor „Unmenschlicher Behandlung“. Diese Urteile fließen auch in die Rechtsprechung deutscher Gerichte ein. Historisch sollen Alleingänge verhindert werden, mittlerweile wurde aber der Gestaltungsraum der Politik massiv eingeengt. Der Politikwissenschaftler Philip Manow spricht von „Über-Konstitutionalisierung". Die Autoren sehen zwei Auswege: Der eine, das ist die Flucht vor den eigenen Fesseln. Der andere Weg ist der Rechtsbruch.

Verfangen in einem überkomplexen System von Vorschriften

Der erste Weg ist eine Art Abschiebung der Probleme ins Ausland - in die Türkei, nach Tunesien, Marokko und Libyen – irgendwann nach Ruanda. Dort sollten die die Asylanträge bearbeitet werden. Weil sich die EU verfangen hat, hofft sie fast verzweifelt auf eine exterritoriale Lösung. Bereits 2016 versuchte Merkel diese Lösung mit der Türkei. Die Fluchtroute wurde geschlossen, während Merkel in der Heimat die Humanität betonen konnte. „Man kann das zynisch nennen. Oder scheinheilig, oder beides.“

Das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS)

Im April hat sich die EU auf ein neues System geeinigt, das einerseits endlose Detailregelungen, aber auch einige vernünftige Vorschläge enthält wie eine zentrale Asyldatenbank bei der EU zum Beispiel oder die wechselseitige Anerkennung von nationalen Abschiebeurteilen. Die Lage ist dringend, denn das Thema spielt Populisten und Autokraten in die Hände. In einigen Fällen begeht die Politik Rechtsbruch, so hat Zypern die Bearbeitung von Asylanträgen von Syrern ausgesetzt, die Finnen weisen Migranten ohne Prüfung ab.

Das System muss vereinfacht werden

Auch im Innern kollabiert das System, so weigert sich Italien, Asylbewerber nach den Dublin-Regeln zurückzunehmen. Diese Regeln sind in der Theorie wunderbar für Deutschland, da sie keine EU-Außengrenzen hat. Andere Staaten lassen die Migranten einfach weiterziehen oder drängen Flüchtlingen zurück. Diese Pushbacks sind nach europäischem Recht illegal.
Es gibt keine einfachen Lösungen, aber das hyperkomplexe System muss vereinfacht werden, ebenso die gerichtliche Überprüfung jedes Einzelfalls. Die Politik könnte Absprachen treffen. Auch die Gerichte entscheiden in einigen Fällen strenger, so wurde einem verurteilten Syrer der Schutz als Bürgerkriegsflüchtling versagt. Für die Autoren zeigt diese Entscheidung, dass die Gerichte nicht im politisch luftleeren Raum agieren.

Mittwoch, 25. September 2024

Neue EU-Kommission - Von der Leyen festigt ihre Macht

Nach der Vorstellung der 26 EU-Kommissare sind sich Kommentatoren einig – die Kommission wird personell und inhaltlich konservativer – und Präsidentin Ursula von der Leyen festigt ihre Macht.

Kernprioritäten der neuen Kommission

Auf der Seite der Kommission werden die Mitglieder und Ziele vorgestellt.
Die Kommission hat sechs Kernprioritäten definiert:

  • Stärkung unserer technologischen Souveränität, unserer Sicherheit und Demokratie.
  • Aufbau einer wettbewerbsfähigen, dekarbonisierten Kreislaufwirtschaft – und einem fairen Übergang für alle.
  • Entwicklung einer mutigen Industriestrategie, bei der Innovation und Investitionen im Mittelpunkt stehen.
  •  Stärkung des europäischen Zusammenhalts und der Regionen.
  •  Die Menschen in Europa bestmöglich unterstützen, ihre Kompetenzen stärken und unser Sozialmodell zukunftsfest machen.
  • Alles dafür tun, dass Europa seine Interessen durchsetzt und in der Welt eine Führungsrolle einnehmen kann.


Ursula von der Leyen festigt ihre Macht

Jan Diesteldorf analysiert in der Süddeutschen Zeitung die Zusammenstellung der neuen Kommission: Ursula von der Leyen festigt ihre Macht. Frauen bekommen wichtige Posten, die konservative Seite wird gestärkt und die Konkurrenz für sie bleibt außen vor.

Überraschungen und Machtpolitik  

Der Autor hat von der Vorstellung zwei Dinge erfahren.
Sie mag Überraschungen: Sie machte mit Henna Virkkunen aus Finnland und Roxana Minzatu aus Rumänien zwei Frauen zu ihren Vizes, die niemand auf dem Zettel hat. Der andere Faktor ist, dass von der Leyen eine Machtpolitikerin ersten Ranges ist. Das neue Team ist direkt auf sie zugeschnitten. In der letzten Kommission hatte sie dem Niederländer Frans Timmermans, der Dänin Margrethe Vestager und dem Franzosen Thierry Breton eigenständige Köpfe.

Wettbewerbsfähigkeit hat den Klimaschutz verdrängt

Inhaltlich wird die neue, nun konservativere Kommission ganz andere Schwerpunkte setzen: Auffällig ist hier, dass Industrie- und Klimapolitik versöhnen will. Der Autor sieht die Gefahr, dass es Rückschritte beim Klimaschutz

Eine Sonnensystem-Kommission?

Auch Hubert Wetzel betont in der Süddeutschen Zeitung, dass von der Leyen eine Machtpolitikerin ist. Sie hat den selbstbewussten Thierry Breton aus dem Weg geräumt und steht nun im Mittelpunkt. Der grüne Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky spricht von einer „Sonnensystem-Kommission“.

Kommission personell und inhaltlich konservativer

Das Gremium ist konservativer geworden – 14 der 27 Kommissare gehören zur Europäischen Volkspartei, Raffaele Fitto aus Italien ist Mitglied der Melon-Partei, die im Europaparlament Teil der rechtskonservativen EKR-Fraktion sind. Auch thematisch geraten Themen in den Fokus, die eher Konservativen zugerechnet werden Klimaschutz soll wichtig bleiben, aber nicht die Industrie ruinieren. Es geht um Wettbewerbsfähikgeit und Sicherheit. In diesen Themen hat sich die EVP den Zugriff gesichert: Wirtschaft, Landwirtschaft, Migration, Verteidigung, Klima.

Politische Aufwertung Osteuropas

Die großen Länder erhalten Vizepräsidenten-Posten: Frankreich, Italien und Spanien. Aber auch Ost- und Mitteleuropäer erhalten einflussreiche Ressorts, nur Ungarn nicht- der Pole Piotr Serafin wird Haushalskommissar, die frühere estnische Regierungschefin Kaja Kallas wird neue Außenbeauftragte der EU und Vizepräsidentin der Kommission. Auch der neu geschaffene Posten für Verteidigung geht nach Osteuropa - an den Litauer Andrius Kubilius. In Bezug auf die Ukraine-Politik sind viele Falken dabei, die einen kompromisslosen Kurs gegen Moskau fordern. Der Ungar Oliver Valhelvi wurde degradiert – statt Erweiterung ist er nun für Gesundheit und Tierschutz zuständig.

Ziel der Parität nicht erreicht

Eigentlich wollte Leyen einen Frauenanteil von 50 %. Da viele Länder nur Männer vorgeschlagen haben, wurde dies nicht erreicht, immerhin konnte sie aber die Zahl der Frauen von zunächst sechs auf elf zu steigern – 40 Prozent. Daran zeige sich, dass „noch viel zu tun“ bleibe.

Sonntag, 25. August 2024

Schweden-Utopie: Bullerbü war gestern

In der Süddeutschen Zeitung  schreibt Alex Rühle über Schweden, um die idealisierten Vorstellungen von Schweden mit der Wirklichkeit abzugleichen.

Schweden als Projektionsfläche für Klischees

„Rote Häuschen am See, mit eigenem Segelboot. Terrasse mit Holztisch, Zimtschnecken und Kaffee. Der Wald ringsum steht still und schweiget, ab und zu ein sanft grasender Elch.“ Der Autor beschreibt zu Beginn einige Klischees über Schweden, die es bereits seit langer Zeit. Schweden muss oft  herhalten als „angenehme, freundliche, gute“ Projektionsfläche für deutsche Sehnsüchte. Bücher von Astrid Lindgren aber auch Schmonzetten im Fernsehen haben zu diesem Klischee beigetragen. Es ist herrlich unterkomplex und wahrscheinlich deshalb extrem erfolgreich.

Aktuelle Politik zeigt ein anderes Bild

Die aktuelle politische Situation hat mit diesem Bild wenig zu tun. Die Minderheitsregierung dreier konservativ-liberaler Parteien unter Ulf Kristersson ist von der Unterstützung der rechtspopulistischen Schwedendemokraten abhängig. Die als vorbildlich geltende Klimapolitik wurde ins Gegenteil verkehrt. Erneuerbare Energien werden ausgebremst, Steuern auf Benzin und Diesel gesenkt. Die Schwedendemokraten betreiben eine Trollfabrik, die das Netz mit Lügen und Hetze flutet. Die Regierung tut wenig gegen die rassistischen Diskurse und rechtsextreme Hetze.

Klischees von Neutralität und Wohlfahrtsstaat überholt

Den Nato-Beitritt bezeichnet der Autor als „überfällige realpolitische Anpassung an die Wirklichkeit“. Hier kritisiert er frühere Regierungen, die die Bündnisfreiheit als heilige Monstranz vor sich hergetragen haben. Auch das Ideal des schwedischen Wohlfahrtstaats von Gleichheit und sozialer Wohlfahrt passt nicht mehr zur Wirklichkeit. Steuern auf Erbschaften und Vermögen wurden abgeschafft. Die Zahl der Dollarmillionäre hat sich verdoppelt, das Land hat heute prozentual gesehen dreimal so viele Milliardäre wie die USA. Die Ungleichheit ist zwar noch immer geringer als in anderen Industrieländern, wächst aber schneller.

Gewalt in schwedischen Städten

Parallel zur neoliberalen Wende und dem enormen Wohlstandszuwachs hat die Gangkriminalität in Schweden Ausmaße angenommen hat, wie man sie sich in Deutschland kaum vorstellen kann: Allein 2022 starben bei Schießereien in Schweden 61 Menschen. Das Land hat zehn Millionen Einwohner, hochgerechnet auf Deutschland wären das 500 Tote. Erklärungsversuche gibt es viele: hohe Zuwanderungsraten aus patriarchalischen Gesellschaften, falsche Männlichkeitsideale, gescheiterte Integration. Erhöhte Nachfrage nach Drogen. Leichter Zugang zu Waffen. Ein Faktor ist aber auch, dass das große Gleichheitsversprechen, auf dem der schwedische Gesellschaftsvertrag offiziell bis heute fußt, längst nicht mehr eingelöst werde.

Verschärfte Bedingungen für Migranten und Asylbewerber

Die Schwedendemokraten setzten massive Verschärfungen durch: Der Erwerb der schwedischen Staatsbürgerschaft soll verschärft werden, Arbeitsmigranten außerhalb der EU müssen hohe Verdienste nachweisen. Die Maßnahmen haben scheinbar Erfolg, in diesem Jahr werde es erstmals seit den Siebzigerjahren mehr Auswanderer als Einwanderer geben.
Auch in anderen Bereichen sind Zweifel am schwedischen Erfolgsmodell angebracht. Die schwedische Bahn hat ähnlich Probleme wie die deutsche, nach Skandalen an Privatschulen wird über eine Reform des Schulsystems nachgedacht. Die Zahl der Schweden, die Antidepressiva nehmen, ist sprunghaft angestiegen.

Schweden ist kein einziges Jammertal

Der Autor betont, dass Schweden kein einziges Jammertal ist. Vieles ist wunderbar und funktioniert beeindruckend gut: Bei Geschlechtergleichheit und Innovationen liegt Schweden weit vorn. Die Landschaft ist wunderschön. Der Autor will Schweden nicht schlechtreden, sondern fordert, die eigenen Vorurteile wahrzunehmen: Bullerbü war immer schon ein fiktiver Ort. Man sollte die zehn Millionen Schweden weder in einem niedlich bunten Utopia einsperren noch auf einen anachronistischen Altar heben. Da langweilen sie sich ohnehin: Die Schweden feiern lieber, als in die Kirche zu gehen.


Donnerstag, 15. August 2024

Die Extremisten wollen den Kulturbetrieb der Slowakei zerstören

Viktoria Großmann kommentiert in der Süddeutschen Zeitung, wie in der Slowakei der Kulturbetrieb zerstört wird.

Jüngstes Opfer des Umbaus: der Kulturbetrieb

Seit Fico wieder Ministerpräsident der Slowakei ist, macht er sich unverhohlen an den Umbau des Staates. Kultusministerin Martina Šimkovičová geht noch brutaler vor. Sie spielt sich als Beschützerin von Kindern vor moderner Kunst auf und versucht mit der Abberufung der Leiter von Nationaltheater und Nationalgalerie nun auch die Kultur umzubauen. Es gibt auch einen Vorgeschmack, was die AfD an der Macht tun könnte.

Nationalistisches, feindseliges Weltbild

Fico und seine populistische Smer-Partie treten ebenso wie die zweitgrößte Fraktion Smer relativ gemäßigt auf, der kleinste Regierungspartner will aber nicht nur Freunde mit Posten versorgen, sondern ihr nationalistisches, feindseliges Weltbild durchsetzen. Fico hat sich zu einem Hetzer entwickelt, ihm geht es um seinen persönlichen Vorteil. Im Windschatten von Kulturdebatten und der Aufregung über die dreiste SNS kann Fico Vertraute aus den Gefängnissen entlassen und Ermittlungsbehörden auflösen.

Kann die Kultusministerin gefährlich werden?

Der Unruhe und Ärger steigt, da die Ministerin auch nicht vor kleinen Kultureinrichtungen in der Provinz nicht haltmacht. Fico müsste notfalls seinen Koalitionspartner zur Mäßigung aufrufen – doch der könnte sich als unkontrollierbar erweisen. Verschwörungsideologen verstehen keinen Spaß.