Joseph de Weck schreibt in seinem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung über die Wirtschaftskrise und den Erfolg von Rechten und fragt „Was wird aus Deutschland?“
Krisen haben auch Vorteile
Angesichts der schwächelnden Wirtschaft und der Erfolge der AfD folgert der Autor: Deutschland ist in der EU angekommen. Die Fragen nach der Abwendung der Deindustrialisierung und der Stagnation ist für ihn ein Teil des „langen Weg nach Westen“, den Heinrich August Winkler einst beschrieben hat. Vieles gibt es in anderen Ländern längst.
Die Globalisierung ist gut für viele, aber schlecht für Deutschland
Die deutsche Wirtschaft steht vor Problemen, denn die Exportunternehmen sind in den Schlüsselmärkten EU, USA und China unter Druck geraten. Auch Sozialabbau, Investitionen in Infrastruktur und Energiesubventionen werden an den Megatrends nichts ändern: Wissen und Wohlstand werden viel breiter über die fünf Kontinente verteilt, zum Glück - aber zum deutschen Unglück:
Zweite Zeitenwende nötig
Der Autor fordert, dass die Binnenwirtschaft und vor allem der Dienstleistungssektor zum Zugpferd werden: Der Staat muss mehr Geld ausgeben, um die Nachfrage zu stärken und sich auf liberale Reformen einigen. Deutschland soll also Schulden machen und gleichzeitig liberalisieren. Auch durch verstärkte Investitionen in die Verteidigung nähert sich Deutschland seinen Nachbarn an. Ebenso normal: Die Zersplitterung der politischen Landschaft: Auch die Deutschen müssen sich daran gewöhnen, mit dem Dauerzwist zwischen drei sehr ungleichen Regierungspartnern zu leben.
Droht ein Rechtsruck?
Auch den Aufstieg rechter Parteien haben andere Länder bereits erlebt. Deutschlands Reichtum, sein vorbildlicher Parlamentarismus und das Aufarbeiten der Nazi-Vergangenheit hielten rechtsextreme Kräfte bisher klein. Mit einer schwächelnden Wirtschaft droht der politische Nationalismus. Werden die Christdemokraten wie ihre Schwesterparteien auch mal gemeinsame Sache mit Rechtsaußen machen?
Führt Deutschlands Sonderweg wirklich nach Europa?
Für Europa ist Deutschlands Europäisierung auf den ersten Blick keine gute Nachricht. Denn die EU existiert heute, weil die Bundesrepublik lange Zeit ein europäischer Ausnahmefall war. Der europäische Staatenbund gedieh zur Erfolgsgeschichte, weil die Bundesrepublik dank ihrer ökonomischen Stärke und politischen Stabilität ein Fels in der Brandung war. Inzwischen ist diese Haltung nicht mehr so eindeutig. Die CDU fordert die Einführung von Passkontrollen und die Ampelkoalition zeigte sich bei der Debatte um Verbrennungsmotor und den Schuldenregeln widerspenstig.
Entsteht nun endlich eine europäische Öffentlichkeit?
Trotz dieser Instabilität eröffnet die Normalisierung auch Chancen: die neue Verteidigungspolitik ist ein Gewinn für Europa. Das Hinterfragen von außenpolitischen Glaubenssätzen und wirtschaftlichen Dogmen eröffnet Spielräume.
Vor genau zwanzig Jahren schrieben die Philosophen Jacques Derrida und Jürgen Habermas, eine Vertiefung und weitere Demokratisierung der EU werde nur möglich, wenn eine "europäische Öffentlichkeit" entstehe. Deutschlands Normalisierung könnte diese Debatte führen: Die Europäer werden zwar nie dieselbe Sprache sprechen, aber sie können heute - anders als in der Nachkriegszeit - vergleichbare Diskurse führen.