Nach mehr als vier Jahren nach der historischen Volksabstimmung ist es endlich soweit. Der Handelsvertrag zwischen der EU und Großbritannien steht. Er hat über 1240 Seiten und soll die zukünftigen Beziehungen regeln – aber es bleiben viele Fragen offen.
Boris Johnson sieht sich als großer Sieger, der den Brexit geliefert hat. Bei genauerem Blick bleibt aber von seinen Versprechen nicht viel übrig.
Splendid Isolation vor leeren Supermarktregalen
Die meisten Kommentare sehen in Boris Johnson und Großbritannien als Verlierer.
Stefan Kornelius sieht einen „saftigen Preis“ und prophezeit, dass Johnsons Fiktion der "splendid isolation" vor leeren Supermarktregalen endet.
Sein Landsmann Alan Posener beschreibt in der ZEIT die Ereignisse: „Wie Boris Johnson von Angela Merkel und Ursula von der Leyen ausmanövriert wurde, war für mich zugleich schmerzlich und schön - “ - schmerzlich für mich als Mann und als Brite. Schön für mich als Feminist und Europäer".
Der Handel bleibt zollfrei
Positiv ist auf jeden Fall für beide Seiten, dass der Handel grundsätzlich zollfrei bleibt. Für die EU ist Großbritannien der fünftgrößte, für Großbritannien die EU der größte Handelspartner.
Als großen Erfolg verkauft Johnson, dass Großbritannien zukünftig vom EU-Standard abweichen und Verträge mit anderen Staaten und Regionen schließen kann. In dem Moment, in dem Großbritannien vom Standard abweicht, schließen sich aber die Türen für den Binnenmarkt.
Auch das Recht eigene Handelsverträge abzuschließen hat einen Haken. Produkte aus diesen Ländern dürfen nicht ohne Kontrolle und gegebenenfalls Zölle in die EU kommen. Außerdem bleibt abzuwarten, wie viele Staaten und Regionen überhaupt Abkommen mit Großbritannien schließen werden.
Ende der Freizügigkeit
Die Freizügigkeit endet, die EU-Bürger müssen Auflagen erfüllen, wenn sie sich in Großbritannien niederlassen wollen. Durch Einkommensschwellen soll vor allem der Zuzug von Geringqualifizierten verhindert werden. Umgekehrt verlieren aber auch Briten das Recht, in allen Staaten der Europäischen Union zu leben und zu arbeiten.
Ende von ERASMUS
Als jemand der dank des ERASMUS-Programms die Zeit des Lebens erlebt hat, trifft mich besonders, dass britische Studierende künftig nicht mehr am Austauschprogramm Erasmus teilnehmen können. Dies mit den hohen Kosten zu begründen ist angesichts der zu erwartenden Verluste in anderen Bereichen schon dreist. Es bleibt zu hoffen, dass der von Boris Johnson versprochene Ersatz dazu beiträgt, dass ein Austausch von jungen Menschen auch zukünftig möglich ist.
Ein bisschen weniger Fisch
Europäische Fischer müssen in den kommenden Jahren 25 Prozent ihrer Fangquoten aufgeben – Johnson hatte 80 % gefordert. Auch in diesem Punkt ist Johnson weit entfernt von seinen Zielen, zumal Fisch gesamtwirtschaftlich kaum eine Rolle spielt.
Ausblick
Zunächst müssen die EU-Staaten sowie die Parlamente von Großbritannien und das EU-Parlament zustimmen. Es bleibt zu hoffen, dass es für alle Beteiligte eine gute Lösung gibt.