Montag, 3. September 2018

Schaffen wir das? Eine Bilanz nach drei Jahren

Vor drei Jahren hat Angela Merkel ihren berühmten Satz „Wir schaffen das“ gesagt. Die Süddeutschen, die ZEIT und das Politikmagazin Panorama haben versucht, Bilanz zu ziehen.

Unterschiedliche Antworten je nach Wahrnehmung

Je nach Wahrnehmung dürfte die Frage, ob wir es geschafft haben sehr unterschiedlich sein, wie Anja Reschke in Panorama treffen feststellte.
Für die einen, ist es noch viel zu früh, ein Fazit zu ziehen, weil Integration Jahrzehnte dauert. Andere wiederum sehen das Flüchtlingsmanagement gescheitert, weil zu viele bürokratische Hürden die Integration und Unterbringung der Flüchtlinge erschweren. Und wieder andere sehen sich in ihren Befürchtungen von 2015 bestätigt, dass ein ungeordneter Zuzug Hunderttausender Menschen Probleme mitbringt. Dem gegenüber stehen durchaus vorzeigbare Erfolge bei der Integration: viele Flüchtlinge, die inzwischen Jobs und eigene Wohnungen haben.

Panorama- ein differenziertes Bild

In verschiedenen Beiträgen berichtete das Politikmagazin Panorama über das Thema Flüchtlinge. In Königswinter, wo die Redaktion bereits vor drei Jahren gedreht hatte, ging es um die bürokratischen Hürden, ein Bericht aus Hamburg zeigte eines der vielen gelungenen Beispiele. Bei einem Besuch bei Pegida distanzierten sich die Interviewten immerhin von den unsäglichen „Absaufen“-Gegröle, die Probleme zeigen sich aber aktuell wieder sehr deutlich.

Drei Jahre "Wir schaffen das" - eine Bestandsaufnahme

Die Bestandsaufnahme der Süddeutschen Zeitung konzentriert sich auf zentrale Fakten und bietet auch zahlreiche interessante Grafiken. 

1,3 Mio. Asylanträge in Deutschland

Mehr als 1,3 Millionen Asylanträge hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) von Anfang Juli 2015 bis Ende Juli 2018 angenommen. Die Großzahl der Menschen kam dabei im Zeitraum zwischen Juli 2015 und März 2016. Das war auch die Zeit, als zeitweise 400.000 Anträge unbearbeitet waren. Seitdem im Frühjahr 2016 die Balkanroute dicht gemacht wurde, hat sich die Zahl der ankommenden Flüchtlinge allerdings drastisch verringert. Mittlerweile kommen in Deutschland nur noch so viele Flüchtlinge an wie vor der Krise. Im Juli dieses Jahres waren es etwas mehr als 13 000.

900.000 Flüchtlinge sind im Land

Hier gibt es nur Annäherungen durch das Ausländerzentralregister. Danach lebten Ende Juni 2018 gut 900 000 Flüchtlinge mehr in Deutschland als noch Mitte 2015. Sie waren entweder als Asylsuchende noch im Verfahren, nach abgelehntem Asylantrag noch im Land, in der Mehrzahl aber als Schutzberechtigte vom Bamf oder vor Gericht schon anerkannt. Hauptherkunftsland ist bis heute mit Abstand Syrien, jeder vierte war bei der Ankunft zwischen 16 und 24 Jahre, es dominieren die Männer

250.000 in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung

Nur oder schon? Auch die nächste Zahl ist nur eine Annäherung und es lässt sich trefflich streiten, ob sie ein Erfolg darstellen: etwa eine viertel Million einen sozialversicherungspflichtigen Job, das sind dreimal mehr als vor drei Jahren. Allerdings sind fast eine halbe Million Menschen aus diesen Ländern als arbeitssuchend gemeldet, fast viermal so viele wie 2015.

21 Milliarden für Flüchtlingshilfe und Integration

Auch die Kosten können nicht genau beziffert werden, denn viele Maßnahmen können nicht genau zugeordnet werden bzw. verteilen sich auf viele Einzelbudget von Land, Ländern und Kommen. Finanzminister Olaf Scholz geht für 2017 von 21 Milliarden aus – davon ein Drittel zur Bekämpfung von Fluchtursachen und ein Drittel für die Bundesländer.

ZEIT: Flüchtlinge – Eine Bilanz

Auch die ZEIT zog Bilanz und fragt: Routen schließen, Fluchtursachen bekämpfen, abschieben und helfen: Seit drei Jahren dominiert der Umgang mit Asylbewerbern und Migranten die Politik. Was wurde seitdem beschlossen? Was funktioniert – und was nicht? Die Autoren prüfen Länder und Regionen und zeigen anhand zahlreicher Grafiken und Statistiken, wie sich die Situation verändert hat. Fazit auch hier: Das Glas ist halb voll (oder halb leer). 

Afrika

Um zu verhindern, dass sich mehr Afrikaner auf den Weg nach Europa machen, hat die EU beschlossen, in deren Heimatländern die Fluchtursachen zu bekämpfen. Das ist eine komplexe Aufgabe, denn die Ursachen für Flucht und Migration sind vielfältig. Sie reichen von bewaffneten Konflikten über schlechte Staatsführung bis hin zu Dürren und Naturkatastrophen. Im November 2015 haben die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Länder einen Afrika-Treuhandfonds aufgelegt.

Niger

Niger ist einer der wichtigsten Transitstaaten auf der Migrationsroute von Westafrika nach Europa. 2015 zogen zeitweise mehr als 5000 Migranten und Flüchtlinge durch das Land – pro Woche. Mittlerweile ist die Zahl der Durchreisenden laut der nigrischen Regierung deutlich gesunken, auf zuletzt 10.000 pro Jahr. Für die Schließung der Migrationsrouten und für Entwicklungsprojekte bekommt Niger von der EU bis 2020 rund eine Milliarde Euro. Ein Teil des Geldes soll in neue Arbeitsplätze fließen.

Libyen

Nach dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi 2011 wurde Libyen zu einem Magneten für Menschenhändler. Hunderttausende Migranten und Flüchtlinge sind seitdem über das nordafrikanische Land nach Europa gekommen. Die EU versucht deshalb, den Menschenhandel zu bekämpfen, und unterstützt die Bemühungen der UN, in Libyen eine Einheitsregierung zu bilden. Die Fortschritte sind allerdings gering; das Land ist nach wie vor in verschiedene Macht- und Einflusssphären zersplittert. Viele Migranten und Flüchtlinge leben in Libyen entweder in Gefängnissen der Zentralregierung oder in Lagern von Milizen.

Türkei

Eines der wichtigsten Instrumente der Flüchtlingspolitik, jedenfalls aus Berliner Sicht, ist das Abkommen zwischen der EU und der Türkei. Die Hauptziele - die Verringerung der Zahl an Flüchtlingen und der Zahl der Todesopfer wurde erreicht. Es hakt bei der Umsetzung des Abkommen, das auf drei Pfeilern steht:
Die Türkei für eine bestimmte Zeit aus Griechenland alle syrischen Flüchtlinge zurück, die aus der Türkei kommen. Im Gegenzug nimmt die EU für jeden Syrer, der zurückgeschickt wird, einen syrischen Flüchtling aus der Türkei auf – die sogenannte Eins-zu-eins-Vereinbarung.
Auch alle anderen Flüchtlinge und Migranten, die auf dieser Route illegal auf eine griechische Insel gelangen und keinen Asylgrund haben, kommen auf Kosten der EU zurück in die Türkei.
Die Türkei erhält dafür von der EU insgesamt sechs Milliarden Euro Flüchtlingshilfe.

Mittelmeer

Unter dem Eindruck mehrerer gesunkener Flüchtlingsboote verständigten sich 25 EU-Länder im Frühjahr 2015 darauf, Marineschiffe und Soldaten ins zentrale Mittelmeer zu schicken. Ziel ist in erster Linie die Bekämpfung von Schleppern, faktisch haben aber auch die Soldaten Zehntausende Menschen aus Seenot gerettet. Die privaten Rettungsorganisationen, die mit eigenen Schiffen im Mittelmeer unterwegs sind, werden zunehmend von der italienischen Regierung behindert. Ihre Schiffe werden beschlagnahmt, Crewmitglieder etwa wegen Beihilfe zum Menschenschmuggel angeklagt.
Die Unterstützung von Griechenland und Italien hat aus verschiedenen Gründen nicht richtig funktioniert. Bei den eingerichteten Hotspots können EU-Beamte zwar helfen, die Hoheit bei strittigen Entscheidungen liegt aber unverändert bei den Regierungen in Rom und Athen.
Ein Desaster war die Umsetzung der Entscheidung, zur Entlastung von Griechenland und Italien 160.000 Flüchtlinge umzusiedeln. Diese Entscheidung hat zu erbitterten Auseinandersetzungen geführt. Bis Ende Mai 2018 wurden knapp 35.000 Asylbewerber innerhalb der EU umgesiedelt. Der ungelöste Streit um die Verteilung der Flüchtlinge verhindert bislang auch eine Reform der europäischen Asylregeln ("Dublin").

Balkan

Die meisten Flüchtlinge und Migranten, die 2015 nach Europa kamen, passierten die griechisch-mazedonische Grenze und setzten ihren Weg von dort aus fort. Ganz geschlossen ist die Balkanroute bis heute nicht. Allein in diesem Jahr wurden bislang mehr als 11.000 Menschen bei illegalen Grenzübertritten in Albanien, Montenegro und vor allem Bosnien-Herzegowina aufgegriffen.

Asylbewerber

Die Bundesregierung hat das Asylrecht verschärft: der Familiennachzug von Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz wurde eingeschränkt, Abschiebungen erleichtert. Nach der Bundestagswahl 2017 einigte sich die neue große Koalition auf eine jährliche Obergrenze von 180.000 bis 220.000 Flüchtlingen, ohne jedoch das Recht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention anzutasten.