Dienstag, 19. April 2022

Verbrennt der westliche Optimismus?

Der Titel Geschichtsphilosophie: Der Optimismus verbrennt klingt seltsam, wie bei allen Artikeln von Andreas Reckwitz stecken auch in diesem Beitrag in der ZEIT viele interessante Gedanken.

Muster des Fortschritts

Reckwitz beschreibt die liberale Geschichtsphilosophie als Muster des Fortschritts: Der Glaube an die Aufklärung, die Entfaltung der Vernunft und die Entwicklung zum Bessern – in Technik und Wissenschaft, aber auch in den Bereichen Recht, Politik und Moral.

Revival nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Tiefpunkt durch Holocaust und Zweiter Weltkrieg folgten nach 1945 und nach 1990 Modernisierungswellen: parlamentarische Demokratie, Rechtsstaat, Marktwirtschaft und soziale Sicherung, Pluralismus und Individualismus. Nach dem Fall der Mauer schien dieses liberale Wirtschaftsmodell endgültig gesiegt zu haben. Symbolisiert wird dies durch das berühmte Zitat vom Ende der Geschichte durch Francis Fukuyama.

Gescheiterte nachholende Modernisierung

Während bei einigen Staaten die „nachholende Modernisierung“ einsetzte und sich das westlich-liberale Geschäftsmodell ebenso durchsetzte wie der Kapitalismus, wenden sich einige Staaten gegen dieses Modell. Dazu gehört Russland, dass sich mit Bezug auf Tradition, Religion und Volk gegen das Modell wandte. Auch der amerikanische Versuch, im Nahen und Mittleren Osten militärisch eine Modernisierung von oben zu betreiben, ist gescheitert: Das westliche Modell lässt sich offenbar nicht ohne Weiteres in andere soziokulturelle Kontexte exportieren, schon gar nicht mit militärischer Intervention.

China – Kapitalismus, starker Staat und konfuzianische Tradition

Einen anderen Weg wählte China. Wirtschaftlich dank marktwirtschaftlicher Reformen erfolgreich setzt es innenpolitisch auf eine scharfe antiliberale Wendung.
Antiliberale Tendenzen zeigen sich auch im Westen. Die Präsidentschaft Trumps und der Sturm auf das Kapitol stellen Risiken für die liberale Demokratie dar, die vor Kurzem noch undenkbar waren.

Kampf zwischen Liberalismus und Autoritarismus

Den Ukraine-Krieg bezeichnet Reckwitz als „bislang letzte Mosaikstein für ein neues Bild der Weltgesellschaft im 21. Jahrhundert. Es besteht die Gefahr, dass sich China und Russland zu einem strategischen Bündnis gegen den Westen und westliche Ideen verbinden."
Er befürchtet einen Kampf zwischen Liberalismus und Autoritarismus, der sich durch drei Entwicklungen zeigt: ein Rückgang der Globalisierung, eine sich stark verändernde Politik und ideologische Konfliktlinien, die es seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr gegeben hat.

Das westliche Projekt neue begreifen und verfolgen

Trotz der Rückschläge und Probleme will Reckwitz das Projekt der moderne nicht ad acta leben. Aber statt an die zwingende Kraft eines Modernisierungsprozesses und eherne historische Gesetze zu glauben, muss man dieses Projekt neu begreifen und verfolgen: als ein seiner eigenen Schwächen bewusstes normatives und strategisches Projekt, im Wissen um seine Gegner. Wir engagieren uns dafür, auch wenn der weltweite Erfolg in der Zukunft nicht gewiss ist.