Paul Middelhoff und Heinrich Wefing analysieren in der ZEIT die Asylpolitik in Europa: Verheddert im Recht.
Beschlüsse werden nicht in Berlin getroffen
Die deutschen Debatte über Zuwanderung steckt in einer Illusion und einer Lebenslüge. Einerseits, weil die genannten Lösungen wie die Zurückweisungen allein nicht die Lösung sein werden, andererseits, weil die Beschlüsse über die Asylpolitik längst nicht mehr auf nationalstaatlicher Ebene getroffen werden. Die Regeln sind kodifiziert in Konventionen, Grundrechtekatalogen, gemeinschaftlichen Normen, und sie werden ausgelegt und überprüft von europäischen Gerichten.
Grundgesetzänderung würde wenig ändern
Auch die vom bayerischen Ministerpräsident Markus Söder geforderte Abschaffung des individuellen Rechts würde wenig ändern – weder ist eine Zweidrittelmehrheit in Sicht, noch würde es viel ändern, da nur ein Bruchteil der Menschen Asyl nach Artikel 16a bekommen. Der Großteil bekommt Schutz aufgrund von unterschiedlichen internationalen Normen, angefangen bei der Genfer Flüchtlingskonvention über die Europäische Menschenrechtskonvention bis hin zur Grundrechtecharta der EU.
Der Einfluss europäischer Gerichte auf die Migrationspolitik
Die Gerichten haben den Schutz in den letzten Jahren ausgebaut, z.B. dem Schutz vor „Unmenschlicher Behandlung“. Diese Urteile fließen auch in die Rechtsprechung deutscher Gerichte ein. Historisch sollen Alleingänge verhindert werden, mittlerweile wurde aber der Gestaltungsraum der Politik massiv eingeengt. Der Politikwissenschaftler Philip Manow spricht von „Über-Konstitutionalisierung". Die Autoren sehen zwei Auswege: Der eine, das ist die Flucht vor den eigenen Fesseln. Der andere Weg ist der Rechtsbruch.
Verfangen in einem überkomplexen System von Vorschriften
Der erste Weg ist eine Art Abschiebung der Probleme ins Ausland - in die Türkei, nach Tunesien, Marokko und Libyen – irgendwann nach Ruanda. Dort sollten die die Asylanträge bearbeitet werden. Weil sich die EU verfangen hat, hofft sie fast verzweifelt auf eine exterritoriale Lösung. Bereits 2016 versuchte Merkel diese Lösung mit der Türkei. Die Fluchtroute wurde geschlossen, während Merkel in der Heimat die Humanität betonen konnte. „Man kann das zynisch nennen. Oder scheinheilig, oder beides.“
Das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS)
Im April hat sich die EU auf ein neues System geeinigt, das einerseits endlose Detailregelungen, aber auch einige vernünftige Vorschläge enthält wie eine zentrale Asyldatenbank bei der EU zum Beispiel oder die wechselseitige Anerkennung von nationalen Abschiebeurteilen. Die Lage ist dringend, denn das Thema spielt Populisten und Autokraten in die Hände. In einigen Fällen begeht die Politik Rechtsbruch, so hat Zypern die Bearbeitung von Asylanträgen von Syrern ausgesetzt, die Finnen weisen Migranten ohne Prüfung ab.
Das System muss vereinfacht werden
Auch im Innern kollabiert das System, so weigert sich Italien, Asylbewerber nach den Dublin-Regeln zurückzunehmen. Diese Regeln sind in der Theorie wunderbar für Deutschland, da sie keine EU-Außengrenzen hat. Andere Staaten lassen die Migranten einfach weiterziehen oder drängen Flüchtlingen zurück. Diese Pushbacks sind nach europäischem Recht illegal.
Es gibt keine einfachen Lösung, aber das hyperkomplexe System muss vereinfacht werden, ebenso die gerichtliche Überprüfung jedes Einzelfalls. Die Politik könnte Absprachen treffen. Auch die Gerichte entscheiden in einigen Fällen strenger, so wurde einem verurteilten Syrer der Schutz als Bürgerkriegsflüchtling versagt. Für die Autoren zeigt diese Entscheidung, dass die Gerichte nicht im politisch luftleeren Raum agieren.