Dienstag, 8. Oktober 2024

Asylpolitik in Europa: Verheddert im Recht

Paul Middelhoff und Heinrich Wefing analysieren in der ZEIT die Asylpolitik in Europa: Verheddert im Recht.

Beschlüsse werden nicht in Berlin getroffen

Die deutschen Debatte über Zuwanderung steckt in einer Illusion und einer Lebenslüge. Einerseits, weil die genannten Lösungen wie die Zurückweisungen allein nicht die Lösung sein werden, andererseits, weil die Beschlüsse über die Asylpolitik längst nicht mehr auf nationalstaatlicher Ebene getroffen werden. Die Regeln sind kodifiziert in Konventionen, Grundrechtekatalogen, gemeinschaftlichen Normen, und sie werden ausgelegt und überprüft von europäischen Gerichten.

Grundgesetzänderung würde wenig ändern

Auch die vom bayerischen Ministerpräsident Markus Söder geforderte Abschaffung des individuellen Rechts würde wenig ändern – weder ist eine Zweidrittelmehrheit in Sicht, noch würde es viel ändern, da nur ein Bruchteil der Menschen Asyl nach Artikel 16a bekommen. Der Großteil bekommt Schutz aufgrund von unterschiedlichen internationalen Normen, angefangen bei der Genfer Flüchtlingskonvention über die Europäische Menschenrechtskonvention bis hin zur Grundrechtecharta der EU.

Der Einfluss europäischer Gerichte auf die Migrationspolitik

Die Gerichten haben den Schutz in den letzten Jahren ausgebaut, z.B. dem Schutz vor „Unmenschlicher Behandlung“. Diese Urteile fließen auch in die Rechtsprechung deutscher Gerichte ein. Historisch sollen Alleingänge verhindert werden, mittlerweile wurde aber der Gestaltungsraum der Politik massiv eingeengt. Der Politikwissenschaftler Philip Manow spricht von „Über-Konstitutionalisierung". Die Autoren sehen zwei Auswege: Der eine, das ist die Flucht vor den eigenen Fesseln. Der andere Weg ist der Rechtsbruch.

Verfangen in einem überkomplexen System von Vorschriften

Der erste Weg ist eine Art Abschiebung der Probleme ins Ausland - in die Türkei, nach Tunesien, Marokko und Libyen – irgendwann nach Ruanda. Dort sollten die die Asylanträge bearbeitet werden. Weil sich die EU verfangen hat, hofft sie fast verzweifelt auf eine exterritoriale Lösung. Bereits 2016 versuchte Merkel diese Lösung mit der Türkei. Die Fluchtroute wurde geschlossen, während Merkel in der Heimat die Humanität betonen konnte. „Man kann das zynisch nennen. Oder scheinheilig, oder beides.“

Das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS)

Im April hat sich die EU auf ein neues System geeinigt, das einerseits endlose Detailregelungen, aber auch einige vernünftige Vorschläge enthält wie eine zentrale Asyldatenbank bei der EU zum Beispiel oder die wechselseitige Anerkennung von nationalen Abschiebeurteilen. Die Lage ist dringend, denn das Thema spielt Populisten und Autokraten in die Hände. In einigen Fällen begeht die Politik Rechtsbruch, so hat Zypern die Bearbeitung von Asylanträgen von Syrern ausgesetzt, die Finnen weisen Migranten ohne Prüfung ab.

Das System muss vereinfacht werden

Auch im Innern kollabiert das System, so weigert sich Italien, Asylbewerber nach den Dublin-Regeln zurückzunehmen. Diese Regeln sind in der Theorie wunderbar für Deutschland, da sie keine EU-Außengrenzen hat. Andere Staaten lassen die Migranten einfach weiterziehen oder drängen Flüchtlingen zurück. Diese Pushbacks sind nach europäischem Recht illegal.
Es gibt keine einfachen Lösung, aber das hyperkomplexe System muss vereinfacht werden, ebenso die gerichtliche Überprüfung jedes Einzelfalls. Die Politik könnte Absprachen treffen. Auch die Gerichte entscheiden in einigen Fällen strenger, so wurde einem verurteilten Syrer der Schutz als Bürgerkriegsflüchtling versagt. Für die Autoren zeigt diese Entscheidung, dass die Gerichte nicht im politisch luftleeren Raum agieren.

Mittwoch, 25. September 2024

Neue EU-Kommission - Von der Leyen festigt ihre Macht

Nach der Vorstellung der 26 EU-Kommissare sind sich Kommentatoren einig – die Kommission wird personell und inhaltlich konservativer – und Präsidentin Ursula von der Leyen festigt ihre Macht.

Kernprioriäten der neuen Kommission

Auf der Seite der Kommission werden die Mitglieder und Ziele vorgestellt.
Die Kommission hat sechs Kernprioritäten definiert:

  • Stärkung unserer technologischen Souveränität, unserer Sicherheit und Demokratie.
  • Aufbau einer wettbewerbsfähigen, dekarbonisierten Kreislaufwirtschaft – und einem fairen Übergang für alle.
  • Entwicklung einer mutigen Industriestrategie, bei der Innovation und Investitionen im Mittelpunkt stehen.
  •  Stärkung des europäischen Zusammenhalts und der Regionen.
  •  Die Menschen in Europa bestmöglich unterstützen, ihre Kompetenzen stärken und unser Sozialmodell zukunftsfest machen.
  • Alles dafür tun, dass Europa seine Interessen durchsetzt und in der Welt eine Führungsrolle einnehmen kann.


Ursula von der Leyen festigt ihre Macht

Jan Diesteldorf analysiert in der Süddeutschen Zeitung die Zusammenstellung der neuen Kommission: Ursula von der Leyen festigt ihre Macht. Frauen bekommen wichtige Posten, die konservative Seite wird gestärkt und die Konkurrenz für sie bleibt außen vor.

Überraschungen und Machtpolitik  

Der Autor hat von der Vorstellung zwei Dinge erfahren.
Sie mag Überraschungen: Sie machte mit Henna Virkkunen aus Finnland und Roxana Minzatu aus Rumänien zwei Frauen zu ihren Vizes, die niemand auf dem Zettel hat. Der andere Faktor ist, dass von der Leyen eine Machtpolitikerin ersten Ranges ist. Das neue Team ist direkt auf sie zugeschnitten. In der letzten Kommission hatte sie dem Niederländer Frans Timmermans, der Dänin Margrethe Vestager und dem Franzosen Thierry Breton eigenständige Köpfe.

Wettbewerbsfähigkeit hat den Klimaschutz verdrängt

Inhaltlich wird die neue, nun konservativere Kommission ganz andere Schwerpunkte setzen: Auffällig ist hier, dass Industrie- und Klimapolitik versöhnen will. Der Autor sieht die Gefahr, dass es Rückschritte beim Klimaschutz

Eine Sonnensystem-Kommission?

Auch Hubert Wetzel betont in der Süddeutschen Zeitung, dass von der Leyen eine Machtpolitikerin ist. Sie hat den selbstbewussten Thierry Breton aus dem Weg geräumt und steht nun im Mittelpunkt. Der grüne Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky spricht von einer „Sonnensystem-Kommission“.

Kommission personell und inhaltlich konservativer

Das Gremium ist konservativer geworden – 14 der 27 Kommissare gehören zur Europäischen Volkspartei, Raffaele Fitto aus Italien ist Mitglied der Melonie-Partei, die im Europaparlament Teil der rechtskonservativen EKR-Fraktion sind. Auch thematisch geraten Themen in den Fokus, die eher Konservativen zurgerechnet werden  Klimaschutz soll wichtig bleiben, aber nicht die Industrie ruinieren. Es geht um WEttbewerbsfähikgeit und Sicherheit. In diesen Themen hat sich die EVP den Zugriff gesichert: Wirtschaft, Landwirtschaft, Migration, Verteidigung, Klima.

Politische Aufwertung Osteuropas

Die großen Länder erhalten Vizepräsidenten-Posten: Frankreich, Italien und Spanien. Aber auch Ost- und Mitteleuropäer erhalten einflussreiche Ressorts, nur Ungarn nicht- der Pole Piotr Serafin wird Haushalskommissar, die frühere estnische Regierungschefin Kaja Kallas wird neue Außenbeauftragte der EU und Vizepräsidentin der Kommission. Auch der neu geschaffene Posten für Verteidigung geht nach Osteuropa -  an den Litauer Andrius Kubilius. In Bezug auf die Ukraine-Politik sind viele Falken dabei, die einen kompromisslosen Kurs gegen Moskau fordern. Der Ungar Oliver Valhelvi wurde degradiert – statt Erweiterung ist er nun für Gesundheit und ITerschutz zuständig.

Ziel der Parität nicht erreicht

Eigentlich wollte Leyen einen Frauenanteil von 50 %. Da viele Länder nur Männer vorgeschlagen haben, wurde dies nicht erreicht, immerhin konnte sie aber die Zahl der Frauen von zunächst sechs auf elf zu steigern – 40 Prozent. Daran zeige sich, dass „noch viel zu tun“ bleibe.

Sonntag, 25. August 2024

Schweden-Utopie: Bullerbü war gestern

In der Süddeutschen Zeitung  schreibt Alex Rühle über Schweden, um die idealisierten Vorstellungen von Schweden mit der Wirklichkeit abzugleichen.

Schweden als Projektionsfläche für Klischees

„Rote Häuschen am See, mit eigenem Segelboot. Terrasse mit Holztisch, Zimtschnecken und Kaffee. Der Wald ringsum steht still und schweiget, ab und zu ein sanft grasender Elch.“ Der Autor beschreibt zu Beginn einige Klischees über Schweden, die es bereits seit langer Zeit. Schweden muss oft  herhalten als „angenehme, freundliche, gute“ Projektionsfläche für deutsche Sehnsüchte. Bücher von Astrid Lindgren aber auch Schmonzetten im Fernsehen haben zu diesem Klischee beigetragen. Es ist herrlich unterkomplex und wahrscheinlich deshalb extrem erfolgreich.

Aktuelle Politik zeigt ein anderes Bild

Die aktuelle politische Situation hat mit diesem Bild wenig zu tun. Die Minderheitsregierung dreier konservativ-liberaler Parteien unter Ulf Kristersson ist von der Unterstützung der rechtspopulistischen Schwedendemokraten abhängig. Die als vorbildlich geltende Klimapolitik wurde ins Gegenteil verkehrt. Erneuerbare Energien werden ausgebremst, Steuern auf Benzin und Diesel gesenkt. Die Schwedendemokraten betreiben eine Trollfabrik, die das Netz mit Lügen und Hetze flutet. Die Regierung tut wenig gegen die rassistischen Diskurse und rechtsextreme Hetze.

Klischees von Neutralität und Wohlfahrtsstaat überholt

Den Nato-Beitritt bezeichnet der Autor als „überfällige realpolitische Anpassung an die Wirklichkeit“. Hier kritisiert er frühere Regierungen, die die Bündnisfreiheit als heilige Monstranz vor sich hergetragen haben. Auch das Ideal des schwedischen Wohlfahrtstaats von Gleichheit und sozialer Wohlfahrt passt nicht mehr zur Wirklichkeit. Steuern auf Erbschaften und Vermögen wurden abgeschafft. Die Zahl der Dollarmillionäre hat sich verdoppelt, das Land hat heute prozentual gesehen dreimal so viele Milliardäre wie die USA. Die Ungleichheit ist zwar noch immer geringer als in anderen Industrieländern, wächst aber schneller.

Gewalt in schwedischen Städten

Parallel zur neoliberalen Wende und dem enormen Wohlstandszuwachs hat die Gangkriminalität in Schweden Ausmaße angenommen hat, wie man sie sich in Deutschland kaum vorstellen kann: Allein 2022 starben bei Schießereien in Schweden 61 Menschen. Das Land hat zehn Millionen Einwohner, hochgerechnet auf Deutschland wären das 500 Tote. Erklärungsversuche gibt es viele: hohe Zuwanderungsraten aus patriarchalischen Gesellschaften, falsche Männlichkeitsideale, gescheiterte Integration. Erhöhte Nachfrage nach Drogen. Leichter Zugang zu Waffen. Ein Faktor ist aber auch, dass das große Gleichheitsversprechen, auf dem der schwedische Gesellschaftsvertrag offiziell bis heute fußt, längst nicht mehr eingelöst werde.

Verschärfte Bedingungen für Migranten und Asylbewerber

Die Schwedendemokraten setzten massive Verschärfungen durch: Der Erwerb der schwedischen Staatsbürgerschaft soll verschärft werden, Arbeitsmigranten außerhalb der EU müssen hohe Verdienste nachweisen. Die Maßnahmen haben scheinbar Erfolg, in diesem Jahr werde es erstmals seit den Siebzigerjahren mehr Auswanderer als Einwanderer geben.
Auch in anderen Bereichen sind Zweifel am schwedischen Erfolgsmodell angebracht. Die schwedische Bahn hat ähnlich Probleme wie die deutsche, nach Skandalen an Privatschulen wird über eine Reform des Schulsystems nachgedacht. Die Zahl der Schweden, die Antidepressiva nehmen, ist sprunghaft angestiegen.

Schweden ist kein einziges Jammertal

Der Autor betont, dass Schweden kein einziges Jammertal ist. Vieles ist wunderbar und funktioniert beeindruckend gut: Bei Geschlechtergleichheit und Innovationen liegt Schweden weit vorn. Die Landschaft ist wunderschön. Der Autor will Schweden nicht schlechtreden, sondern fordert, die eigenen Vorurteile wahrzunehmen: Bullerbü war immer schon ein fiktiver Ort. Man sollte die zehn Millionen Schweden weder in einem niedlich bunten Utopia einsperren noch auf einen anachronistischen Altar heben. Da langweilen sie sich ohnehin: Die Schweden feiern lieber, als in die Kirche zu gehen.


Donnerstag, 15. August 2024

Die Extremisten wollen den Kulturbetrieb der Slowakei zerstören

Viktoria Großmann kommentiert in der Süddeutschen Zeitung, wie in der Slowakei der Kulturbetrieb zerstört wird.

Jüngstes Opfer des Umbaus: der Kulturbetrieb

Seit Fico wieder Ministerpräsident der Slowakei ist, macht er sich unverhohlen an den Umbau des Staates. Kultusministerin Martina Šimkovičová geht noch brutaler vor. Sie spielt sich als Beschützerin von Kindern vor moderner Kunst auf und versucht mit der Abberufung der Leiter von Nationaltheater und Nationalgalerie nun auch die Kultur umzubauen. Es gibt auch einen Vorgeschmack, was die AfD an der Macht tun könnte.

Nationalistisches, feindseliges Weltbild

Fico und seine populistische Smer-Partie treten ebenso wie die zweitgrößte Fraktion Smer relativ gemäßigt auf, der kleinste Regierungspartner will aber nicht nur Freunde mit Posten versorgen, sondern ihr nationalistisches, feindseliges Weltbild durchsetzen. Fico hat sich zu einem Hetzer entwickelt, ihm geht es um seinen persönlichen Vorteil. Im Windschatten von Kulturdebatten und der Aufregung über die dreiste SNS kann Fico Vertraute aus den Gefängnissen entlassen und Ermittlungsbehörden auflösen.

Kann die Kultusministerin gefährlich werden?

Der Unruhe und Ärger steigt, da die Ministerin auch nicht vor kleinen Kultureinrichtungen in der Provinz nicht haltmacht. Fico müsste notfalls seinen Koalitionspartner zur Mäßigung aufrufen – doch der könnte sich als unkontrollierbar erweisen. Verschwörungsideologen verstehen keinen Spaß.

Mittwoch, 17. Juli 2024

Wahl in Frankreich: Macron erntet, was er sät

Stefan Kornelius kommentiert in der Süddeutschen Zeitung das Ergebnis der Parlamentswahlen: Sein Neuwahl-Kalkül hat die Parteienlandschaft durchgeschüttelt – Frankreich wird sich dahinschleppen.

Gemischte Bilanz nach den Wahlen

Ein Teil des Zieles hat Macron erreicht. Nach dem 2. Wahlgang wurden die Rechtsradikalen erstaunlich klein gehalten, der zweite Teil der Rechnung ging nicht auf. Sein Mitte-Bündnis hat deutlich verloren, das Regierungsgeschäft wird nicht einfacher. Macron blies zur Wahl, um nicht als Getriebener zu erscheinen – die Ernte eingefahren hat aber die Linke. Diese schlossen sich überraschend schnell zu einem Bündnis zusammen.

Eine Ohrfeige für den Rassemblement National – und Macron

Le Pens Rassemblement National wurde im zweiten Wahlgang von der Nation mit einer Ohrfeige bedacht. Die neue Verteilung lautet: viel ultrarechts, viel links und immer weniger dazwischen. So wird Politik zum Geschäft des Stillstands. Die Wahl richtete aber sich auch gegen Macron. Es zeigen Sich die Konstruktionsfehler der Fünften Republik, das dem Parlament zu wenig Macht und dem Zusammenspiel der beiden Pole zu wenig Aufmerksamkeit schenkt.

Es fehlen die verlässlichen ideologischen Lager

Es fehlen Führungsfiguren, die aus verlässlichen Lagern kommen. Die Wahl brachte ein taktisches Bündnis für den republikanischen Konsens, aber keine Verabredung über einen Regierungskonsens. Die Suche wird Monate dauern, die Linke werden sich erst mal selber zerlegen. Der Autor zweifelt, ob des dann eine Koalition der Mitte gibt: Den Franzosen ist diese Methode des Interessenausgleichs nicht in die politische Wiege gelegt.


Mittwoch, 10. Juli 2024

Labour-Wahlsieg: Die Clownshow ist vorbei

Steffen Lüdke kommentiert im SPIEGEL den Labour Wahlsieg „Die Clownshow ist vorbei – Keir Starmer erlöst die Briten“

Die Konservativen wurden abgestraft

Nach 14 Jahren wurden die Konservativen abgestraft. Die Sparpolitik zehrte das Land aus, es folgten der Brexit, Boris Johnsons Lügen und das fatale Steuerexperiment von Liz Truss. Keir Starmer steht für das, was der britischen Politik in letzter Zeit abging: ein Mindestmaß an Seriosität. Die Clownshow ist vorbei.

Vier Gründe für Labours Erdrutschsieg 

Der Autor nennt vier Gründe für den Erdrutschsieg. 

1. Labour hat in Schottland gewonnen

In Schottland dominierte jahrelang die Schottische Nationalpartei. Durch viele Skandale verlor die Partei und Ansätzen und Labour nutze die Chance. Labour gewann viele Sitze, mit denen vor ein paar Jahren noch niemand rechnen konnte.

2. Starmer hat die Mitte erobert

Starmer hat sich als Gegenentwurf zu seinem Vorgänger Jeremy Corbyn präsentiert und Labour in die Mitte gerückt. Starmer gewann rund 34 Prozent der Stimmen, weniger als Corbyn bei seiner Niederlage 2017. Er holte aber weitaus mehr Sitze, darunter auch viele in der »Red Wall«, traditionelle Labour-Hochburgen in den Midlands und im Norden Englands, die Corbyn verloren hatte. Labours Wählerschaft ist nun diverser, ein breites und fragiles Bündnis trug Starmer zum Sieg.

3. Die Linken wählten taktisch, die Rechten nicht

Die Liberaldemokraten holten mehr als 70 Site. Zu verdanken hat er dies den Wählen, die die Tories unbedingt abwählen wollten. Sie stimmten taktisch ab - mancherorts wählten sie Labour, mancherorts die Lib Dems, eine ehemals kleine Mitte-links-Partei, die nun drittgrößte Formation im Parlament ist.
14 Prozent stimmten für die Reform Partei von Nigel Farage, einen Putin-Fan, der Kandidaten aufstellte, die zum Teil offen rassistisch auftraten. Nur dank des britischen Wahlsystems resultierte das in lediglich vier Abgeordneten, einer davon ist Farage selbst  Diese Stimmen verschlimmerten die Niederlage der Tories. Einige wollen nun noch weiter nach rechts rücken. „Dabei verloren sie vor allem, weil sie als inkompetent und verlogen gelten.“

4. Starmer hat die Tories einfach machen lassen

Keir Starmer setze wie der englische Nationaltrainer Gareth Southgate darauf, Fehler zu vermeiden. Die Wahlkampf der Tories war ein Fehltrittfestival. Zum Schluss warnten sie einfach vor einer großen Labour-Mehrheit. Am Ende half nicht mal das.

Dienstag, 25. Juni 2024

Wo steht Europa nach der Wahl?

Das Ergebnis der Wahlen war bereits Thema einiger Seminare und bleibt auch in meinem überarbeiteten Seminarprogramm zu Europa ein wichtiges Thema. Die Bundeszentrale für politische Bildung fasst in einem Dossier einige der Reaktionen auf die Wahl zusammen.

Rechtsruck im Parlament

Bei den Wahlen haben die konservative EVP und die beiden rechten Fraktionen EKR und ID deutlich gewonnen. Liberale und Grüne haben deutlich verloren. Dieses Ergebnis ist vor allem durch die großen Länder geprägt, deshalb warnen einige Beobachter auch vor, die Ergebnisse überzubewerten. In einigen Ländern gab es gar kein Rechtsruck statt (Skandinavien) oder verschoben sich innerhalb des rechten Lagers (Italien) Außerdem haben die Parteien der Mitte weiterhin eine klare Mehrheit.

Europäische Achse Berlin-Paris geschwächt?

Größer ist die Furcht vor einer dauerhaften Schwächung der deutsch-französischen Achse. Sowohl Scholz als auch Macron haben deutliche Niederlagen eingefahren. El Pais kommentiert. „Für den deutsch-französischen Motor gibt es keinen Ersatz. Wenn Paris oder Berlin in die Hände von Regierungen fallen, die gegen die europäische Integration sind, wird die EU gelähmt oder tödlich verwundet.“

Was bedeutet das Ergebnis für die Klimapolitik?

Rückschritte sehen die Beobachter für die Klima- und Energiepolitik. Die Volkspartei hatte bereits vor der Wahl Zweifel am Green Deal geäußert und einzelne Maßnahmen abgelehnt, durch die Schwächung der Grünen könnte das Thema an Bedeutung verlieren.

Auswirkungen für die Außenpolitik gegenüber der Ukraine?

Den Erfolg radikaler Parteien hat den Kreml gefreut, dennoch erwarten die Beobachter keine großen Verschiebungen, da die wichtigsten Entscheidungen ohnehin nicht vom Parlament getroffen werden:
„Die pro-ukrainische Mehrheit hat sich zwar im Wesentlichen gehalten, aber der Vormarsch der extremen Rechten hat in Russland einen Zustand der Euphorie ausgelöst.“

Folgen der Wahl für die politische Situation in einzelnen Ländern

In manchen EU-Staaten hat die Europawahl die Lage deutllich. In Deutschland verloren die Regierungsparteien dramatisch, AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht gewannen deutlich hinzu. Auffällig dabei die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland und das Wahlergebnis der Erstwähler*innen. Einen interessanten Kommentar von Sascha Lobo finden Sie hier.
In Frankreich löste Macron das Parlament auf – ein weiterer Rechtsruck könnte die Folge sein.
In Italien gewann die Partei von Regierungschefin Meloni deutlich – die Verluste ihres Koalitionspartners Salvini waren aber noch höher. In Polen gewann die europafreundliche Partei von Donald Tusk den Stimmungstest. In Österreich wurden die Freiheitlichen stärkste Partei, im Herbst wird sich zeigen, ob sie auch bei nationalen Wahlen den Erfolg wiederholen könnte.

Wahlen

Darüber hinaus wird eine Wahl außerhalb Europas die Politik auf der ganzen Welt stark prägen – die Präsidentschafts- und Kongresswahlen in den USA. Auch zu diesem wichtigen Thema biete ich Seminare an – sowohl im Bereich Internationale Politik als auch Demokratie und Wahlen.