Samstag, 25. November 2023

Geert Wilders und das Demokratieproblem in den Niederlanden

Thomas Kirchner analysiert in der Süddeutschen Zeitung  das Wahlergebnis in den Niederlanden.

Unzufriedenheit mit der Politik begünstigt Nationalisten

Die Wahl zeigt, was passiert, wenn sich die Politik von ihren Bürgern und deren Sorgen abschottet. Dann können rechte Radikale an die Macht kommen. Und dann wird es gefährlich - siehe das Programm des Nationalisten. Gelang vor acht Monaten der Bauer-Bürger-Bewegung ein triumphaler Sieg bei den Provinzwahlen ist es nun Geert Wilders gelungen. Waren es damals die Umweltpolitik, war es diesmal die Zuwanderung. Dazu kamen Probleme, die viele Regionen umtreiben: schwindende Kaufkraft, kaum bezahlbare Wohnungen, steigende Gesundheitskosten. Hinzu kommt die Unzufriedenheit mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte, dem der eigene Machterhalt wichtiger schien als die Not der Menschen.

Radikales Programm von Wilders

Geert Wilders ist einer der radikalsten europäischen Nationalisten. Verbot des Korans, Schließung aller Moscheen und islamischen Schulen im Land, Referendum zum Ausstieg aus der EU, Klima- und weite Teile der Umweltpolitik komplett streichen, Türkei aus der Nato werfen, keine Waffen für die Ukraine, totaler Asylstopp, durchgesetzt von Soldaten an der niederländischen Grenze. Vertreter der anderen Parteien beleidigte er auf übelste Weise.

Wilders an der Regierung wäre schlecht. Ihn nicht regieren zu lassen? Auch

Gestoppt werden kann er nur durch ein lagerübergreifendes Bündnis – von Sozialdemokraten zu Rechtliberalen. Dies könnte die die Unzufriedenheit eher noch befördern. Das wäre allenfalls die weniger schlechte Lösung. Die andere Alternative wäre die Beteiligung an der Regierung – Rutte hatte sich von Wilders Anfang der 2010er tolerieren lassen.

Menetekel für Europas Mitte-Parteien

Es wird Zeit, sich ernsthaft um die Sorgen der Bürger zu kümmern. Dazu zählen Fortschritte bei der Migrationsfrage, z.B. durch Verhandlungen mit Dritt- und Herkunftsstaaten, um das Sterben auf dem Mittelmeer beenden. Oder es ist Marine Le Pen, die den nächsten großen Sieg einfährt.

Mittwoch, 15. November 2023

Wird der Ukraine-Krieg zum „eingefrorenen Konflikt“?

Cathrin Kalhweit geht in der Süddeutschen Zeitung der Frage nach, ob aus dem Ukraine-Krieg zum „eingefrorenen Konflikt“ wird.

Droht ein eingefrorener Konflikt mit Vorteil für Russland?

Die Ukraine und Russland befinden sich in einem militärischen Patt. In der Ukraine steigt die Skepsis, ob ein Sieg gelingen kann. Mittlerweile reden auch westliche Partner zunehmend über Friedensverhandlungen. Immer mehr wird ein Szenario diskutiert, an dessen Ende ein neuer, eingefrorener Konflikt stehen könnte. Während der Westen kaum zu Gebietsabtretungen drängen wird, scheint dies eine Möglichkeit zu sein.

Es gibt bereits zahlreiche eingefrorene Konflikte in Osteuropa

Nach dem Zerfall der Sowjetunion gibt es zahlreiche eingefrorene Konflikte, in denen Russland separatistische Bestrebungen in postsowjetischen Staaten geschürt und Marionettenregime installiert wurden. Dazu gehören Transnistrien in der Republik Moldau und Südossetien und Abchasien in Georgien. In der Ukraine hatte Moskau 2014 die Volksrepubliken Südossetien und Abchasien installiert. Zusätzlich hat Russland im Laufe des Kriegs Cherson und Saporischschja annektiert.

Manche Experten vergleichen die Situation mit dem Koreakrieg

Experten befürchten, dass ein eingefrorener Konflikt mit Russland nur ein Sprungbrett für einen weiteren Angriff Moskaus sein könnte. Die humanitäre Katastrophe und der Terror in den besetzten Gebieten würden sich fortsetzen. Und Putin würde eine solche Scheinlösung der eigenen Bevölkerung als "Sieg" verkaufen. Andere Experten vergleichen die Ukraine mit dem Korea-Krieg, bei dem es auch nach 70 Jahren keinen Friedensvertrag und eine demilitarisierten Zone gibt. Keine Seite müsste neue Grenzen anerkennen. Der versprochene EU-Beitritt geriete in weitere Ferne. Gelöst würde damit auch keines der Probleme des Westens: weder die Energiefrage noch die Sorge vor einer Ausweitung des Konflikts noch die in Scherben liegende alte Weltordnung.