Donnerstag, 29. Juni 2023

Der Asylkompromiss – eine notwendige Zumutung, um Europa zu retten?

Die EU verschärft die Asylregeln

Die Süddeutsche Zeitung gibt einen Überblick über die Pläne der EU zur Verschärfung des Asylrechts.
Im Mittelpunkt stehen zwei neue Gesetze zur Erfassung von Flüchtlingen und zur Verteilung.

Schnellverfahren an der Grenze

Alle Flüchtlinge sollen bei der Ankunft erfasst werden. Anschließend erfolgt eine Unterteilung in ein normales Verfahren und Schnellverfahren für Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsstaaten. Dieses Schnellverfahren sieht haftähnliche Bedingungen für maximal 12 Wochen, bei Ablehnung droht eine Rückführung in sichere Drittstaaten

Verteilung auf EU-Länder

Bei hohen Ankunftszahlen ist eine Verteilung auf andere EU-Länder vorgesehen, eine Verpflichtung von der man sich freikaufen kann. Außerdem sind weitere Rücknahmeabkommen mit Anrainerstaaten geplant, verhandelt wird aktuell mit Tunesien und Ägypten.

Notwendige Zumutung, um Europa zu retten

An diesen Regeln gab es viel Kritik, aber auch Verständnis. Stellvertretend für diese Ansicht stelle ich den Kommentar von Ralf Neukirch im SPIEGEL vor. Er hält den Kompromiss für eine notwendige Zumutung, um Europa zu retten.

Zumutungen, aber keine echte Alternative 

Der Beschluss enthält Zumutungen, so die gewünschte abschreckende Wirkung und Einrichtungen, die wie Gefängnisse funktionieren. Andererseits überfordert der Zuzug von Flüchtlingen derzeit viele Länder. Die Alternative wäre keine humanitärere Migrationspolitik, sondern die Einführung von Grenzkontrollen gewesen.

Sinnvolle Elemente des Kompromisses

In vielen Ländern gibt es eine Stimmung, die sich zunehmend gegen Migranten richtet. „Der Luxemburger Kompromiss ist ein Versuch, dieses Problem anzugehen. Die Mitgliedstaaten wollen Einwanderung steuern und begrenzen – und damit auch Europa retten.“ Es ist sinnvoll, einen Teil der Entscheidung über die Einreise bereits an der EU-Außengrenze zu treffen und auch der verpflichtende Solidaritätsmechanismus ist ein Fortschritt.

Kritik ernstnehmen

Auch die Kritik am neuen System muss ernst genommen werden: Die Einrichtungen an der Grenze müssen humanitären Standards genügen, nur dann sind sie zu rechtfertigen. Sichergestellt werden muss auch, dass Menschen mit Anspruch auf Schutz diesen erhalten. Wichtig werden auch Vereinbarungen mit den Ländern, abgelehnte Asylbewerber wieder aufnehmen sollen. „Nichts zu tun wäre aber die größere Gefahr für Europa. Und auch für viele Migranten, die schutzbedürftig sind.“


Donnerstag, 8. Juni 2023

Türkei-Wahl: Ein Sieg des Nationalismus, eine Herausforderung für die EU

Lenz Jacobsen beschreibt in der ZEIT  treffend die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen: Ein Sieg des Nationalismus, eine Herausforderung für die EU

Seine Schlussfolgerungen:

1.    Erdoğan kann nur noch mit unfairen Mitteln gewinnen

Die Zahlen sind erschütternd: Über 16.700 wurden 2022 angeklagt, weil sie Erdogan „beleidigt“ haben sollen, davon über 1000 Kinder. In den Medien gab es ein groteskes Übergewicht bei der Berichterstattung für Erdogan, dennoch hat er nur knapp gewonnen.. Er bleibt nur im Amt, weil er das Land in den vergangenen Jahren zu seinem Vorteil umgebaut hat: Medien, Justiz, Wirtschaft. Erdoğan ist ein Wahlsieger von eigenen Gnaden.

2.     Die Türkei ist nicht nur Erdoğan

Man darf die Türkei nicht mit Erdogan gleichsetzen. Bei der Wahl haben sich Oppositionelle aus verschiedenen Lagern zusammengetan, die Sehnsucht nach einer andern Türkei wird bleiben.

3.    Der Nationalismus hat (mal wieder) gewonnen

Mit drastischen Worten hat auch Oppositionskandidat  Kılıçdaroğlu gegen syrische Flüchtlinge gewettert. Aber auch der Präsident setze auf nationalistische Töne. Türkischer Nationalismus prägt das Land jenseits von links und rechts, er ist seit der Gründung des Landes vor hundert Jahren immanent. Mit dieser Wahl drängt er aus der Tiefe an die Macht.

4.     Polarisierung treibt die Menschen zur Wahl

In beiden Wahlgängen war die Wahlbeteiligung hoch. Sie ist auch Resultat einer starken Polarisierung. Die  vielen Wahlbeobachter sind kein Zeichen von demokratischer Stärke, sondern Zeichen des mangelnden Vertrauens und der Angst vor Manipulation.

5.    Erst ein Sommerhoch, dann der Wirtschaftsabsturz

Während der Sommer dank Tourismus noch einigermaßen glimpflich ablaufen dürften, droht ein Wirtschafsabsturz. Es drohen weiter Inflation und ein Braindrain, viele jungen Menschen möchten das Land verlassen.

6.    Die EU müsste sich (eigentlich) etwas Neues einfallen lassen

Bei manchen Europäern zeigte sich zynische Hoffnung: Lieber weiter mit dem gewöhnten Erdogan als die Unsicherheit durch einen Machtwechsel. Es ist aber ein Problem, dass es weiter geht wie bisher. Formal ist die Türkei weiter Beitrittskandidat, mit der echten Bedeutung hat dies nicht zu tun.

Für Erdgogan ist Europa Partner und Feindbild gleichzeitig – er wechselt zwischen nüchterner Interessenpolitik und lauten Schimpftiraden. Besonders Deutschland ist vielfalch verstrickt, sodass ein besonderes Engagement notwendig ist.

7.    Autokraten lassen sich (fast) nicht abwählen

Die Wahl zeigte ein weiteres Mal, dass sich Autokraten nicht einfach abwählen lassen. Studien zeigen, dass dies nur in wenigen Fällen gelingt. Hoffnung geen die 48 Prozent für die Opposition und die Kommunalwahlen im nächsten Jahr. Es geht um mehr als einen Urnengang, es geht um Beharrlichkeit. Ein Autokrat, der ständig gegen demokratischen Widerstand kämpfen muss, wird so zumindest gebremst.