Samstag, 26. Oktober 2019

Die EU im Nahen Osten - ohne nennenswerten Einfluss?

Die EU gibt bei den Konflikten im Nahen Osten kein gutes Bild ab – dies zeigte sich zuletzt beim Einmarsch der Türkei in Syrien.

Türkei nutzt Gunst der Stunde

Nach dem chaotischen Abzug der USA aus Nordsyrien ließ sich der türkische Präsident Erdogan nicht zweimal bitten. Mit dem Einmarsch und dem anschließenden Waffenstillstand hat er nun die ersehnte Sicherheitszone und hat den Kurden einen entscheiden Schlag versetzt.
Ob die Türkei sich wirklich als Sieger sehen kann, wird sich zeigen, denn sein Erzfeind Asssad ist gestärkt und eine Ansiedlung syrischer Flüchtlinge in Nordsyrien nicht abzusehen.

Assad und Putin als klare Sieger

Assad hat nun fast wieder das komplette Territorium unter Kontrolle. Noch klarer das Urteil bei Putin, der sein Glück wahrscheinlich gar nicht fassen kann. Russland ist nun die eindeutig bestimmende Kraft und hat die Türkei erfolgreich vom Westen entfremdet.

Kapitulation des Westens?

Die Medien nannten die Ereignisse eine Kapitulation des Westens und Trump einen Chaoskrieger, der ein Debakel angerichtet hat. Auch viele Experten kritisierten Trumps vorgehen, andererseits ist die Entscheidung bei seinen Wähler*innen

Die Kurden – verraten und verkauft

Die Kurden haben erfolgreich gegen die IS-Terroristen gekämpft und haben in Syrien und der Türkei gut verwaltete Zonen. Nach dem Einmarsch sind diese Zonen in Gefahr, ihnen droht die Gefahr der Marginalisierung.

EU – uneinig und ohne Einfluss

Die EU verurteilte den Einmarsch, konnte sich aber nicht auf ein Waffenembargo einigen. Gründe hierfür sind auch die Drohungen Erdogans die Flüchtlinge weiterzuschicken. Noch trauriger das Bild der deutschen Regierung, die sich in Bezug auf die von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer geforderten internationalen Sicherheitszone öffentlich widersprach.

Katastrophale Lage in Syrien

Bei allen strategischen Fragen sollen abschließend auch noch an das Leid der Menschen erinnert werden – nach zehn Jahren Krieg ist aus Syrien ein Schlachtfeld unterschiedlichster Interessen geworden, vom Krieg der Stellvertreter der Stellvertreter USA/Saudi-Arabien vs. Russland/Iran ist diese Rede – diesen Krieg zu beenden scheint deshalb oberstes Gebot.

Weitere Informationen 

DER SPIEGEL: Trumps Syrien-Debakel
Deutschlandfunk: Die Dummheit ist ein Meister aus Washington

Donnerstag, 24. Oktober 2019

Die Bilanz von Mario Draghi - Retter des Euros oder Enteigner der Sparer?

Diesem Mann steht fast niemand neutral gegenüber - Mario Draghi. Für die einen ist er der Retter des Euros und der Euro-Länder, für die anderen die Ausgeburt des Bösen, der die Zinsen abgeschafft und damit die deutschen Sparer*innen enteignet hat. Wie so oft liegt die Wahrheit wohl dazwischen.

In dieser Presseschau möchte ich drei verschiedene Analysen näher betrachten, beginnend mit der euphorischsten.

Guter Italiener, ökonomisch überforderter Deutscher

Aus Anlass der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes schrieb Thomas Fricke auf SPIEGEL ONLINE eine euphorische Würdigung über Mario Draghi.
Er bezweifelt die Schuld Draghis an den Nullzinsen und verweist zurecht darauf, dass diese weltweit niedrig sind. In der Schweiz, die von vielen Euro-Gegner ja immer so euphorisch als Vorbild gefeiert wird, liegt der Zinssatz sogar noch niedriger.

Er gibt Wolfgang Schäuble die Schuld an der Krise und sieht in Draghi den Retter:
Wenn überhaupt, dann haben wir Mario Draghi, dem Italiener, zu verdanken, dass wir heute noch so eine stabile Währung haben. Weil er das korrigiert hat, was ein deutscher Finanzminister falsch gemacht hat: der nämlich in der akut eskalierenden Krise nicht richtig mit dem Geld umging, als er den Griechen zu Beginn der Krise, ziemlich genau vor zehn Jahren, jede Hilfe erst einmal stur versagte – was die Zweifel am Willen zur Krisenbewältigung erst nährte und die Panik an den Finanzmärkten erst eskalieren ließ.   

Euro-Retter mit wirtschaftlichen und politischen Risiken 

Positive und negative Seiten sieht Henrik Müller in seiner Kolumne Alles super, Mario?

Retter des Euros - und von Merkels Kanzlerschaft 

Müller würdigt die Rolle Draghis und verweis auf den Beginn zu Beginn seiner Amtszeit im Herbst 2011 mit dem drohenden Ende des Euros und einem globalen Finanzcrash. Durch seine legendäre Pressekonferenz den Euroraum mit allen Mitteln zusammenzuhalten im Sommer 2012 hat er der Spekulation ein Ende bereitet.

Es ist keine abwegige Annahme, dass ohne die hyperaktive EZB die Währungsunion entweder explodiert wäre - oder nur durch umfangreiche Transferzahlungen hätte gerettet werden können. In beiden Fällen wäre Angela Merkels Kanzlerschaft vermutlich längst beendet und Deutschlands politische Landschaft stärker fragmentiert, wie das in anderen Ländern längst der Fall ist. Dass Merkel immer noch in einer halbwegs stabilen Koalition regiert, verdankt sie nicht zuletzt dem EZB-Chef.

Draghi hinterlässt wirtschaftliche und politische Problembereiche

Müller verweist aber auch auf Probleme: Die billionenschwere Käufe sind nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen: negative Zinsen bei immer höherer Verschuldung von Staaten und Unternehmen, die bei der nächsten Rezession als Krisenverstärker herausstellen. Besonders seine letzte Entscheidung, Anleihekaufprogramme zu starten sorgte für politische Risse, die seine Nachfolgerin Lagarde nun kitten muss. 

Hat sich Draghi verrannt? 

Alexander Hagelüken argumentiert in seinem Kommentar für die Süddeutsche Zeitung ähnlich: 
Europas Zentralbankchef hat sich enorme Verdienste um den Euro erworben, doch er hat zu lange an der Politik des billigen Geldes festgehalten. Seine Nachfolgerin muss dringend umsteuern.

(Nicht nur) nach Ansicht von Hagelüken hat Draghi zu lange an der Politik des billigen Geldes festgehalten. Die Nullzinsen verzerren das Geschäftsleben und beschwören auf Dauer Spekulationsblase wie vor der Finanzkrise. 

Große Herausforderungen für Christine Lagarde 

In einem Punkt sind sich wohl alle einig: Christine Lagarde hat es angesichts der weltweiten Verwerfungen keinen leichten Job - man kann ihr nur Glück wünschen!

Mittwoch, 9. Oktober 2019

Der nicht ganz so neue Deal des Boris Johnson

Boris Johnson lässt sich für einen neuen Deal, der bei genauerem Hinschauen gar nicht so neu ist und außerdem einige fragwürdige Passagen erhält. Positiv ist: Es gibt ein neues Abkommen und beide Seiten haben Ziele erreicht und Zugeständnisse gemacht.

Der Backstop ist weg 

Der wichtigste Sieg für Johnson: Die Notfalllösung ist weg. Mit ihrem Versprechen an die Europäer, dass es keine Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland und dem gleichzeitigen Versprechen an die nordirische DUP, dass es keine Grenzen zwischen Großbritannien und Nordirland gibt, hat sich Theresa May in eine fast aussichtslose Situation manövriert. Der Backstop sollte sicherstellen, dass Nordirland Teil des Binnenmarkts bleibt bis eine endgültige Regelung gefunden ist. Angesichts der mühsamen Verhandlungen hätte dies unter Umständen bedeutet, dass ein Teil Großbritanniens einem anderen Wirtschaftsraum angehört.

Komplizierte Regelungen für Kontrollen zwischen Großbritannien und Nordirland 

Nicht verhindern konnte Johnson, dass es zu Kontrollen zwischen Nordirland und dem Rest von Großbritannien kommt. Britische Beamte wachen darüber, ob es sich bei Transporten zwischen den Landesteilen um Produkte handelt, bei denen "ein Risiko besteht, dass sie auf den EU-Binnenmarkt gelangen". Die werden dann nämlich mit EU-Zöllen belegt. Ein weiterer Punkt, der sich in der Realität beweisen muss.

Ein Kompromiss, mit dem beiden Seiten leben können 

Das war es aber schon. Der Deal entspricht größtenteils dem Vorschlag, den Theresa May ausgehandelt hat. Beide Seiten haben Zugeständnisse gemacht: Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der Republik Irland werden verhindert, wie es die EU wünschte, die Briten konnten die Notfallklausel verhindern. Beiden Seiten haben auch Zugeständnisse gemacht: Die Europäer haben eine Neuverhandlung akzeptiert, die Briten Kontrollen zwischen Großbritannien und Nordirland.
Die Süddeutsche Zeitung fasst die Änderungen gut zusammen: Das ist neu am Deal.