Dienstag, 23. Februar 2021

Vorschläge für eine bessere Migrationspolitik

In einem Essay macht Maximilian Popp im SPIEGEL Vorschläge für eine bessere Migrationspolitik.
Er sieht in der Genfer Flüchtlingskonvention eine der großen zivilisatorischen Errungenschaften der Nachkriegszeit, diese jedoch braucht einen Neuanfang. Er verweist auf die humanitäre Entwicklungspolitik 2015, die anschließende Kritik, aber auch die Notwendigkeit Migration zu gestalten. Die EU als „politisch-moralische Kraft… kann das Elend an ihren Rändern nicht ignorieren, ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren, ohne selbst Schaden zu nehmen“.

1. Realistische Perspektive

Popp verweist auf Ungenauigkeit der Flüchtlingszahlen. 80 Millionen sind ein erschreckender Rekordwert, allerdings werden Palästinenser gezählt, die seit Jahrzehnten in Jordanien leben oder auch Flüchtlinge innerhalb von Kolumbien. Popp fordert nur Menschen zu zählen, die in akuterer Not sind, das sind 15-20 Millionen „ein lösbares Problem“  

2. Koalition der Willigen

Viele Regierungen rechtfertigen ihr Nichtstun mit der Suche nach einer gesamteuropäischen Lösung. Hier fordert Popp eine Koalition der Willigen - möglichst viele Staaten sollten für den Flüchtlingsschutz gewähren, v.a. Länder, die bisher Solidarität verweigern: Japan, China oder Brasilien

3. Von Kanada lernen

Unser Asylsystem krankt an einem Paradox, da Flüchtlinge nur dann vom Grundrecht Gebrauch machen können, wenn sie europäischen Boden betreten. Die fast logische Folge ist Abschottung. Popp verweist auf die Aufnahme von Flüchtlingen aus Vietnam. Ähnlich wie Kanada könnten Staaten gezielt Flüchtlinge aufnehmen, dort wird die Umsiedlung auch überwiegend von Privatpersonen finanziert.

4. Deals mit Drittstaaten

Popp fordert Abkommen mit Drittstaaten und verweist auch hier auf erfolgreiche Beispiele. Nach der Aufhebung der Visumspflicht für Ukrainer wurde gleichzeitig das Rückführungsabkommen umgesetzt. Mit Staaten wie Tunesien, aus denen nun ein geringer Anteil Asyl bekommen, könnte ein Abkommen für eine geregelte Migration sorgen.

5. Menschlich bleiben

Der letzte Punkt ist vielleicht der wichtigste: Menschlich bleiben. Die Vorwürfe gegen FRONTEX habe ich im letzten Blogeintrag behandelt, auch Kroatien und Griechenland stehen in der Kritik. Die EU muss diesen Vorwürfen nachgehen „Wenn sie beweisen will, dass sie den Flüchtlingsschutz ernst nimmt, sollte sie dies auch konsequent bei Verstößen gegen das Asylrecht tun“.

Dienstag, 16. Februar 2021

Frontex – eine Agentur außer Kontrolle

Eine Agentur außer Kontrolle“ nannte die ZEIT Frontex. In der Tat reiht sich ein Skandal an den anderen, sehr anschaulich gemacht von Jan Böhmermann in seiner Sendung ZDF Magazin Royale.

Immer größer, immer mehr Geld

Die EU-Agentur Frontex wurde 2004 gegründet, um gemeinsame Einsätze der Mitgliedstaaten an der Außengrenze zu koordinieren. Sie ist in den vergangenen Jahren gewachsen wie keine andere EU-Agentur. 5,6 Milliarden Euro soll sie bis 2027 aus dem EU-Haushaltsbudget erhalten, 10.000 eigene Grenzbeamte einstellen. Dazu kommt polizeiliche Ausrüstung: Streifenwagen, Flugzeuge, Drohnen, Handfeuerwaffen.

Immer mehr Skandale

Schon seit langer Zeit steht FRONTEX in Verdacht, Schiffe mit Flüchtlingen in die Türkei oder nach Libyen abzudrängen, sog. Push Backs. Hinzu kommen nun zahlreiche weitere Vorwürfe: Mobbing, Korruption bei der Beschaffung, die Weigerung Menschenrechtsbeauftragte einzustellen und mangelnde Transparenz.

Kaum Kontrolle

Das EU-Parlament kann nur indirekt über das Budget Einfluss nehmen und die Mitgliedstaaten reagieren nicht – oder tolerieren das Verhalten. Immerhin ermittelt die EU-Antikorruptionsbehörde, aber offensichtlich war es notwendig, dass Jan Böhmermann und sein Team systematisch Dokumente analysierte und veröffentlichte. Auch die unsägliche Verbindung zur Rüstungsindustrie wird aufgearbeitet.

ZDF Magazin Royale über FRONTEX

Am 5. Februar berichtete Jan Böhmermann über Frontex – mit erschütternden Details über die Arbeit von FRONTEX und damit auch der Europäischen Union.


Sonntag, 7. Februar 2021

Orban, die EU und die Rechtsstaatlichkeit

Nachdem die EU im letzten Blogeintrag mit Lob überschüttet wurde, geht es diesem Beitrag mal wieder um eines der größten Probleme – die Rechtsstaatlichkeit und das Verhalten von Victor Orban (und die hilflose Reaktion der Europäer)
Die Dokumentation in ARTE mit dem treffenden Titel „Hallo, Herr Diktator“ zeigt die Entwicklung von einem jungen liberalen Reformer 1989 zu einem immer autoritäreren Regierungschefs, der Wortungetümen wie „illiberale Demokratie“ geprägt haben.

Kampf gegen Presse und Wissenschaft

Nach der Rückkehr an die Macht 2010 führt einen Kampf gegen die freie Presse und die freie Wissenschaft. Gelegentlich weicht er zurück, um dann umso entschlossener weiterzumachen. Oppositionelle Zeitungen wird die Arbeit fast unmöglich gemacht, mit einer von Antisemitismus strotzenden Kampagne gegen seinen ehemaligen Förderer Soros hat er die Central European University aus Budapest vertrieben.

Macht wichtiger als Werte?

Die EU und die Mitgliedstaaten haben dem Treiben bisher teilnahmslos zugeschaut. Der Bericht zeigt, dass Orban während der Flüchtlingskrise hofiert wurde, besonders von Horst Seehofer und der CSU. Der Europäischen Volkspartei distanziert sich zunehmend, Orbans Partei ist aber nach wie vor Mitglied der Fraktion im Europäischen Parlament. Die Ablehnung der EU hindert Orban nicht, sich und seine Freunde an absurden Förderprogrammen der EU zu bereichern.

Ein faustischer Pakt?

Das Rechtsstaatsverfahren der EU nach Artikel 7 ist bisher im Sande verlaufen, entsprechend groß war die Hoffnung, über den neuen Haushalt Druck auszuüben. Aber auch diese Maßnahmen gestalteten sich schwierig, denn Ungarn und Polen blockierten die Einigung und damit auch die dringend notwendige Hilfe für die von Corona betroffenen Mitgliedstaaten.
Letztlich gelang in letzter Minute ein Kompromiss. Der Rechtsstaatsmechanismus kommt, wird aber zunächst in Kraft gesetzt. Orbán hat Zeit gewonnen und kann seine Herrschaft festigen. Ist es ein faustischer Pakt, der Europa sprengt?

Der Film auf ARTE  

Auf der Seite von ARTE wird der Film nur noch bis März zu sehen sein 

Dienstag, 2. Februar 2021

Die Europäische Union als Modell für das 21. Jahrhundert

Dieser Artikel sollte Pflichtlektüre für alle Europäer*innen werden – egal, ob sie der EU positiv, negativ oder gleichgültig gegenüberstehen. Ullrich Fichtner hat im SPIEGEL im Essay Die sanfte Macht (nur für Abonnenten) die Bedeutung der EU herausgearbeitet.

Die EU als globaler Gigant

Die EU stand in den letzten Jahren oft am Abgrund: die Finanzkrise, der Brexit und auch heute sind zahlreiche Probleme wie das Impfstoffchaos prägen das Bild. Dennoch Die EU ist nicht mickrig und unbedeutend, sondern das ganze Gegenteil: ein Gigant, der das Leben auf Erden entscheidend mitgestaltet.
Egal ob Bruttoinlandsprodukt, Handelsvolumen oder Attraktivität: Die EU ist immer vorne dabei, auch in Bereichen, in denen es man nicht vermutet: So ist nicht China, sondern die EU der mit Abstand wichtigste Partner Afrikas, auch als Geldgeber für Entwicklungshilfe und internationale Organisationen weit vor anderen.

Die EU als weltweiter Taktgeber

Technikkonzerne bauen ihre Geräte nach EU-Vorschriften, Kakaoproduzenten beachten Pestizidvorschriften, regionale Staatenbünde organisieren sich nach dem Vorbild Europas. Die viel gescholtene Datenschutzgrundverordnung ist zum globalen Standard geworden, keine Firma kann dies ignorieren, da die EU ein wichtiger Markt. Die heftig kritisierte Bürokratie leistet harte Arbeit in der Gesetzgebung und wird als Autorität in vielen Fragen anerkannt.

Eine leise Weltmacht

Fichtner zitiert Anu Bradford, deren Buch The Brussels Effect den Untertitel „Wie die Europäische Union“ die Welt regiert trägt: „Europa ist – im Gegensatz zu traditionellen Vorstellungen, eine leise Weltmacht, und genau darauf beruht ihr Erfolg.“
Bereiche wie die EU-Außenpolitik müssen weiter ausgebaut werden, dass die EU neben der weichen Macht auch als „harte“ Macht anerkannt wird, aber auch hier ist Fichtner optimistisch, in dem er auf die Anfangszeit des Euros verweist. Damals warnten viele vor den entsetzlichen Folgen, heute „ist der Euro die betonharte Zweitwährung der Welt.“  

Modell für das 21. Jahrhundert

Bei all den großen Zielen - wie Frieden bewahren, Weltklima retten, Wohlstand mehren – vergessen viele Europäer den großen Erfolg, „dass es gelungen ist, einen ganzen Kontinent, auf dem sich die Menschen jahrhundertelang zerfleischten, zu einem Modell für das 21. Jahrhundert zu machen.“