Sonntag, 27. Dezember 2020

Einigung im Brexit-Streit - Hauptsache ein Vertrag?!

Nach mehr als vier Jahren nach der historischen Volksabstimmung ist es endlich soweit. Der Handelsvertrag zwischen der EU und Großbritannien steht. Er hat über 1240 Seiten und soll die zukünftigen Beziehungen regeln – aber es bleiben viele Fragen offen.
Boris Johnson sieht sich als großer Sieger, der den Brexit geliefert hat. Bei genauerem Blick bleibt aber von seinen Versprechen nicht viel übrig.

Splendid Isolation vor leeren Supermarktregalen

Die meisten Kommentare sehen in Boris Johnson und Großbritannien als Verlierer.
Stefan Kornelius sieht einen „saftigen Preis“ und prophezeit, dass Johnsons Fiktion der "splendid isolation" vor leeren Supermarktregalen endet.
Sein Landsmann Alan Posener beschreibt in der ZEIT die Ereignisse: „Wie Boris Johnson von Angela Merkel und Ursula von der Leyen ausmanövriert wurde, war für mich zugleich schmerzlich und schön - “ - schmerzlich für mich als Mann und als Brite. Schön für mich als Feminist und Europäer".

Der Handel bleibt zollfrei

Positiv ist auf jeden Fall für beide Seiten, dass der Handel grundsätzlich zollfrei bleibt. Für die EU ist Großbritannien der fünftgrößte, für Großbritannien die EU der größte Handelspartner.
Als großen Erfolg verkauft Johnson, dass Großbritannien zukünftig vom EU-Standard abweichen und Verträge mit anderen Staaten und Regionen schließen kann. In dem Moment, in dem Großbritannien vom Standard abweicht, schließen sich aber die Türen für den Binnenmarkt.
Auch das Recht eigene Handelsverträge abzuschließen hat einen Haken. Produkte aus diesen Ländern dürfen nicht ohne Kontrolle und gegebenenfalls Zölle in die EU kommen. Außerdem bleibt abzuwarten, wie viele Staaten und Regionen überhaupt Abkommen mit Großbritannien schließen werden.

Ende der Freizügigkeit

Die Freizügigkeit endet, die EU-Bürger müssen Auflagen erfüllen, wenn sie sich in Großbritannien niederlassen wollen. Durch Einkommensschwellen soll vor allem der Zuzug von Geringqualifizierten verhindert werden. Umgekehrt verlieren aber auch Briten das Recht, in allen Staaten der Europäischen Union zu leben und zu arbeiten.

Ende von ERASMUS

Als jemand der dank des ERASMUS-Programms die Zeit des Lebens erlebt hat, trifft mich besonders, dass britische Studierende künftig nicht mehr am Austauschprogramm Erasmus teilnehmen können. Dies mit den hohen Kosten zu begründen ist angesichts der zu erwartenden Verluste in anderen Bereichen schon dreist. Es bleibt zu hoffen, dass der von Boris Johnson versprochene Ersatz dazu beiträgt, dass ein Austausch von jungen Menschen auch zukünftig möglich ist.

Ein bisschen weniger Fisch

Europäische Fischer müssen in den kommenden Jahren 25 Prozent ihrer Fangquoten aufgeben – Johnson hatte 80 % gefordert. Auch in diesem Punkt ist Johnson weit entfernt von seinen Zielen, zumal Fisch gesamtwirtschaftlich kaum eine Rolle spielt.  

Ausblick 

Zunächst müssen die EU-Staaten sowie die Parlamente von Großbritannien und das EU-Parlament zustimmen. Es bleibt zu hoffen, dass es für alle Beteiligte eine gute Lösung gibt.

Mittwoch, 16. Dezember 2020

Merkels Triple: Dreifache Einigung beim EU-Gipfel

Am Ende der deutschen Präsidentschaft kann Angela Merkel doch noch auf Erfolge verweisen: Einigung im Haushaltsstreit, Corona-Hilfspaket, schärferes Klimaziel: Der SPIEGEL kommentiert dies als Merkels Triple.

Einigung beim Sieben-Jahres-Haushalt und der Corona-Hilfe

Ungarn und Polen hatten mit einem Veto gedroht, da sie nicht mit dem Rechtsstaatsmechanismus einverstanden waren.  Letztlich ist es den beiden gelungen, den Rechtsstaatsmechanismus stark zu verwässern. Lediglich bei Betrug und Korruption müssen die beiden negative Folgen befürchten, bei Diskriminierung von Minderheiten, der Einschränkung der Pressefreiheit und anderen Verletzungen der Grundwerte jedoch nicht. 

Ambitioniertere Ziele beim Klimawandel.

Die Beilegung des Haushaltsstreits war zentral, weil sie den Weg für die Verschärfung des Klimaziels ebnete: Bis zum Jahr 2030 will die EU ihre Treibhausgas-Emissionen nun um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Diese Entscheidung bestätigt nochmals die Notwendigkeit für den Green Deal, den die Kommission angekündigt hat.

Handlungsfähigkeit erhalten

Besonders bei der Frage der Rechtsstaatlichkeit finde ich den Preis sehr hoch, aber ein Scheitern hätte nicht nur finanzielle Folgen gehabt. Die EU hat es geschafft, Handlungsfähigkeit zu zeigen - nach innen und außen. Letztlich wird es am Willen der Staaten und der Kommission liegen, ob und wie den Ankündigungen Taten folgen werden. 

Samstag, 12. Dezember 2020

Die Geldschwemme der EZB – kommt jetzt die Inflation?

Ich habe mich schon in mehreren Beiträgen mit der Finanzkrise beschäftigt. In diesem Beitrag möchte Argumente von Hans-Werner Sinn und Thomas Fricke vorstellen.

Die Geldschwemme der EZB

Ein Video auf Focus zeigt die Argumentation von Hans-Werner Sinn: Seit Jahren kauft die Europäische Zentralbank massiv Staatsanleihen auf, damit sich die Staaten weiter günstig verschulden können und Geld in Umlauf kommt.
Sinn zeigt auf, dass sich durch die Geldmenge M0, das Bargeld bei Banken und Nichtbanken und die Girokonten der Geschäftsbanken bei den Zentralbanken, sehr stark gestiegen aus. Bis Juni 2021 geht er von 6 Billionen Euro aus. Die Geldmenge M1 – das Bargeld außerhalb der Banken und die Sichteinlagen bei den Banken - sind dagegen kaum gestiegen – Sinn sieht hier eine Liquiditätsfalle.

Kommt jetzt die Inflation?

Anders als der Titel im Fokus suggeriert, formuliert Sinn sehr vorsichtig, in dem er über die Zeit nach Corona sinniert:
Corona ist überwunden, die Weltwirtschaft zieht allmählich an, die Produktionskapazitäten ist lädiert, die Ölpreise steigen, und es ergibt sich eine Lohn-Preis-Spirale. Die Inflationserwartungen ändern sich, Konsumgüterkäufe werden vorgezogen, die Inflation beginnt zu traben, und aus dem Trab wird ein Galopp.
Ein Grund: Die EZB kann nicht mehr den Rückwärtsgang einlegen, denn wenn sie die Staatsanleihen wieder verkaufen würden, würde das die Krisenländer in Gefahr bringen.

Niedrige Zinsen – es wird zu viel gespart und zu wenig nachgefragt

Thomas Fricke hält eine Hyperinflation für unwahrscheinlich, wie er bereits 2019 im SPIEGEL ausgeführt hat. Gründe für die niedrigen Zinsen sieht er darin, dass zu viel gespart wird: Babyboomer konsumieren weniger und sparen mehr, außerdem gibt es viele Reiche, die sparen und Geld nicht ausgeben (können). Es wird auch zu wenig nachgefragt: Digitale Wirtschaft benötigt weniger Kapital, Wirtschaft investiert weniger. Seit der Finanzkrise haben Staaten zu wenig investiert.