Sonntag, 12. Dezember 2021

Mario Draghi: Was haben sie, was wir nicht haben?

Sie sind Fußball-Europameister, sie haben den 100-Meter-Olympiasieger, sie sind Europameister im Volleyball, sie haben den Eurovision Song Contest gewonnen, ihre Wirtschaft wächst schneller als die deutsche – und das Wichtigste von allem: Sie haben eine der höchsten Impfquoten Europas. „Was haben sie, was wir nicht haben“ fragt Ulrich Ladurner in der ZEIT.

Klare Haltung in der Corona-Krise

Draghi begann mit einer klaren Haltung in der Corona-Krise. Bereits im März führte er die Impfpflicht für Gesundheitspersonal und die Green Card ein, die für Nichtgeimpfte massive Beschränkung im öffentlichen Leben und am Arbeitsplatz bedeutet. Ergebnis ist eine der höchsten Impfquoten in Europa.

Geld und Reformen

Italien profitierte von EU-Wiederaufbaufonds – und nutzte dieses Geld für umfangreiche Reformen, die alle Bereiche umfasste. Bei seinem Haushaltsplan verabschiedete er sich auch von den Versprechen der Vorgängerregierung, so wurde die Frühverrentung und das Bürgergeld wurde einkassiert.

Bündnis mit Frankreich

Draghi hat das lange Ende der Ära Merkel geschickt genutzt, um sein Land auf Augenhöhe mit den großen Mächten der EU zu heben. In Macron fand er einen Gleichgesinnten. Die beiden unterzeichneten einen Vertrag nach dem Muster des 1963 geschlossenen deutsch-französischen Freundschaftsvertrages.

Ein Comeback von Dauer?

Der Autor verweist auf die letzte Technokratenregierung: im Herbst 2011 stand Italien am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Mario Monti wurde Chef einer Expertenregierung und rette Italien vor dem Bankrott. Danach begann der Aufstieg der Populisten von 5.Sterne und Salvini. Dieses Schicksal könnte Draghi erspart bleiben, denn seine Zustimmungswerte sind hoch. Bei den Kommunalwahlen erlitten die Populisten eine klare Niederlage.

Dienstag, 23. November 2021

Was kann die EU gegen Belarus tun?

Das Vorgehen ist perfide – und Lukaschenko hat bittere Vorbilder. Schon Libyens Diktator Gaddafi drohte der EU mit dem Zustrom von Flüchtigen und auch der türkische Präsident Erdogan versucht in regelmäßigem Abstand die EU mit der Drohung von Flüchtlingen zu Zugeständnissen zu bringen.
Nun hat der belarussische Machthaber Lukaschenko die Strategie übernommen, nachdem ihn die EU nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen mit Sanktionen bestraft hat. Während man der Türkei zugutehalten kann, dass sie viele Flüchtlinge im eigenen Land unterstützt, lässt sie Lukaschenko einfliegen und unter unmenschlichen Bedingungen an der Grenze campieren.  

Was kann die EU tun?

Der SPIEGEL analysiert verschiedene Möglichkeiten – alle sind mit Problemen verbunden.

Sanktionen gegen Belarus und Drittsaaten

Bereits Gebrauch macht die EU von weiteren Sanktionen gegen Belarus, so wurde die Fluglinie und mehrere Beamten bestraft. Auf Drittländer wurde Druck ausgeübt, damit diese keine Flüge mehr nach Belarus zulassen. Nur teilweise mit Erfolg: nachdem Direktflüge aus Bagdad gestoppt wurden, versuchen es die Menschen nun auf anderen Staaten.  

Die Geflüchteten aufnehmen und verteilen

Die EU hat 450 Millionen Einwohner. Die Verteilung von ca. 12.000 Geflüchteten sollte also möglich sein. Gegen einen Verteilungsschlüssel wehren sich einige Länder aber bereits bisher, sodass keine Einigung zu erwarten ist. Andere befürchten einen Sogeffekt, wenn Geflüchtete einreisen dürfen. 

Die Grenze mit Gewalt abriegeln

Im Falle der Türkei hat Griechenland im Februar 2020 die Grenzen abgeschottet und somit die Erpressung durch Erdogan beendet. Schon jetzt sind Menschen gestorben und der Winter naht- kann Europa, die sich immer noch als Wertegemeinschaft versteht – so handeln?

Mit Lukaschenko reden

Merkel hat mit Lukaschenko gesprochen – und wurde dafür hart kritisiert, schließlich erkennt die EU zurecht die Präsidentschaftswahl nicht an. Aber was ist die Alternative, ohne Kontakte – auch zu Russland – wird es nicht gehen.  

Partnerschaft mit Nachbarn

Der Migrationsexperte Gerald Knaus schlägt eine andere Lösung vor – die Staaten im Osten Europas sollen eingespannt werden. Er schlägt in der ZEIT vor, Geflüchtete zu registrieren und dann in Drittstaaten wie die Ukraine zu bringen, wo ihre Asylanträge geprüft werden könnten. Im Gegenzug sollten die Ukraine und andere Länder umfassende Finanzhilfen und weitere Unterstützung aus Brüssel bekommen.
Ein ähnliches Vorgehen fordert er auch aus Seenot geretteten, hier sieht er in Tunesien einen potentiellen Partner. Hier hofft er, dass Menschen sich erst gar nicht auf den Weg machen. Ob damit das Ziel erreicht wird, dass irreguläre Migration reduziert wird und weniger Menschen an den Grenzen sterben, bleibt offen.
 

Samstag, 23. Oktober 2021

Das neue Moria - ZDF Magazin Royale über die EU-Flüchtlingslager

Ein Jahr nach dem Brand des Flüchtlingslager Morias hat sich ein Rechercheteam des ZDF Magazin Royals die Situation erneut angeschaut - mit erschreckendem Ergebnis. 

Keine Morias mehr

Danach waren sich alle einig: So etwas Menschenunwürdiges wie das Lager in Moria darf es bei uns (Europa) nicht mehr geben. Die EU hat tatsächlich Worten Taten folgen lassen: No more Morias! Dafür wird allerdings mit einem neuen, von doppelt gereihten Stacheldrahtzäunen umgebenen Geflüchtetenlager auf Samos gegen die Menschenwürde verstoßen – aber nach höchsten EU-Standards. 

Wenn Geflüchtete zu Gefangenen werden 

Die Recherche zeigt: Die EU finanziert nicht nur Lager, die Gefängnissen ähneln, sie macht diese auch zu einem Pilotprojekt für die Aufnahme von Asylsuchenden. Und das, obwohl selbst die EU-Menschenrechtsagentur (FRA) davor warnte, dass Stacheldrähte, Überwachung und Freiheitseinschränkungen Menschen, die Gewalt und Verfolgung erfahren haben, retraumatisieren kann. 

Video ZDF Magazin Royale 

Das Team hat eine eigene Seite erstellt: Das neue Moria - außerdem erscheint das Video auf der YouTube-Seite des ZDF Magazin Royale.

 

Mittwoch, 13. Oktober 2021

Kommt jetzt der Polexit?

Der Streit zwischen der EU und Polen eskaliert erneut. Dieses Mal geht es um ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, das den Vorrang des EU-Rechts. Einige Medien gehen der Frage nach, ob damit der Polexit näher gerückt ist.

Was bedeutet das Urteil?

Der Deutschlandfunk berichtet über die wichtigsten Fragen:
Konkret hat das Gericht entschieden, dass die Bestimmung aus den EU-Verträgen, mit denen die EU-Kommission ihr Mitspracherecht bei Fragen der Rechtsstaatlichkeit begründet, nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar ist.
Expert*innen sprachen deshalb von einem „juristischen Polexit“, auch wenn einem tatsächlichen Austritt – ähnlich wie im Fall von Großbritannien – ein langes Austrittsverfahren nötig wäre.
Da die schärfste Waffe der EU über Artikel 7 kaum zum Ziel führen kann – Polen und Ungarn sichern sich gegenseitige Unterstützung zu – bleibt das Geld. Aus dem regulären EU-Haushalt hat Polen zuletzt jährlich 12 Milliarden Euro netto erhalten. Aus dem Corona-Wiederaufbaufonds könnte Polen rund 60 Milliarden Euro verteilt auf Zuschüsse und Darlehen bekommen.
Die Öffentlichkeit in Polen ist laut Umfragen deutlich gegen einen Austritt und die Opposition hat zu Protesten aufgerufen.

Die Geduld der EU neigt sich dem Ende zu

Die anderen EU-Staaten und die EU-Organe verlieren zunehmend die Geduld, vor allem nach dem Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bei seinem Auftritt vor dem Europäischen Parlament verbal nachgelegt hat. Das Europäische Parlament wiederrum hat nun die EU-Kommission verklagt, weil diese nicht entschieden gegen Polen und Ungarn vorgeht.
Andererseits könnten auch Polen und Ungarn in wichtigen Fragen die Arbeit der EU blockieren, die Hoffnung bleibt also, dass es doch noch zu einer Lösung kommt.

Mittwoch, 22. September 2021

Ein stärkeres Europa? Von der Leyens Rede zur Lage der Union.

 Zum zweiten Mal hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur „Lage der Union“ gesprochen. In der Rede sprach von der Leyen über die militärische Stärkung, der wirtschaftlichen Unabhängigkeit sowie den Kampf gegen Corona und Klimawandel.

Rede zur Lage der Union

Der Vergleich mit den USA passt vielleicht nicht - weder die Macht noch die Rede haben diese Bedeutung wie in den USA. Dennoch ist die jährliche Rede ein wichtiger Beitrag: Die Kommission legt die Kommission Rechenschaft ab über das, was sie in den vergangenen zwölf Monaten bearbeitet hat und gibt einen Ausblick auf die Themen des kommenden Jahres. Auch für die Europaabgeordneten ist die Möglichkeit öffentlichkeitswirksam die Arbeit der Kommission zu bewerten.

Corona-Krise gut gemeistert

Von der Leyen betonte, dass die EU die Coronakrise gut bewältigt. Nach sehr holprigem Start kann man dieser Einschätzung zustimmen: Mehr als 70 Prozent der Erwachsenen sind geimpft, Hilfspakete konnten die Folgen abmildern.
 

Militärische Stärkung

Die Tragödie in Afghanistan zeigte, dass Europa militärisch (noch) nicht handlungsfähig ist. Von der Leyen möchte eine engere Zusammenarbeit mit der NATO und parallel die Europäische Verteidigungsunion ausbauen.

Klimaneutrales Europa

Noch viel zu tun ist auch beim ehrgeizigen Ziel, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. Bereits vor einiger Zeit hatte die Kommission mit dem Paket “Fit for 55“ ehrgeizige Gesetzesvorhaben angekündigt. Darüber wird in den nächsten Monaten heftig gestritten, nicht zuletzt aufgrund der französischen Präsidentschaftswahlen 2022. 

Weitere Information 


Dienstag, 24. August 2021

Afghanistan - Das Versagen des Westens

Bei einem Hauptschuldigen und dem Verlierer der aktuellen Entwicklung sind sich die Beobachter einig – die Amerikaner und ihre Verbündeten, die vom planlosen Anfang bis zum überstürzten Ende des Einsatzes vieles falsch gemacht haben. Weitere Berichte zum Thema Afghanistan finden Sie in meinem Blog Internationale Politik.

Es ist zum Schämen

Stefan Braun wirft der Bundesregierung in der Süddeutschen Zeitung Versagen vor: "Die monatelange Zögerlichkeit beim Umgang mit den sogenannten Ortskräften, das absurde Unvorbereitetsein auf den Vormarsch der Taliban und das lähmende Warten darauf, dass endlich drei Bundeswehrflieger aufbrechen, um Botschaftsangehörige, andere deutsche Staatsbürger und Ortskräfte aus dieser lebensgefährlichen Situation herauszuholen - es ist nichts anderes als ein kollektives Regierungsversagen."

Aus der Traum

Samiha Shafy kritisiert in der ZEIT „Aus der Traum“ das Versagen der USA. Dies sei noch schlimmer als Vietnam, denn damals war und blieb die USA die unumstrittene Führungsmacht des Westens und ging später als Sieger des kalten Kriegs hervor, heute ist die USA eine „um sich selbst kreisende, wankende Weltmacht“
Biden sieht sie als Vollstrecker der Trumpschen Politik – „Spätestens jetzt dürfte die Hoffnung vieler Transatlantiker zerstört sein, Trumps Präsidentschaft könnte nur eine Verirrung gewesen sein.“ Vom Scheitern profitieren werden Islamisten, der Iran, Russland und nicht zuletzt China. Der Vertrauensverlust ist groß: „Wer sich auf den Westen verlässt, wird verraten."

Auch die Afghanen haben eine historische Chance vertan

Ulrich Ladurner verweist ebenfalls in der ZEIT darauf, dass auch die Afghanen Schuld am Debakel haben. „Bei allen Fehlern war es dem Westen ernst mit Afghanistan“ betont er. Allein die USA haben über zwei Billionen Dollar ausgegeben. Letztlich kann der Westen einer Gesellschaft eine Freiheit nicht aufzwingen, die sie selbst nicht haben will.
 

Joe Biden als Vollstrecker einer irren Idee

In der Ausgabe der ZEIT kommt auch Norbert Röttgen zu Wort, der in den Verhandlungen mit den Taliban einen entscheidenden Fehler sieht. Donald Trump hatte das Abzugsdatum mitgeteilt: „So hatten die Taliban niemals einen Grund, überhaupt zu verhandeln. Sie mussten nur dasitzen und abwarten.“ Joe Biden ist nun der Vollstrecker dieser irrsinnigen Strategie. Die Europäer hingegen haben es nicht geschafft, die Amerikaner von diesem Vorgehen abzubringen – und konnten dies auch nicht.

Freitag, 20. August 2021

Der digitale Euro – wird das Bargeld abgeschafft?

Es ist zunächst nur eine zweijährige Probephase und Details müssen noch geklärt werden – mit der Ankündigung die Einführung eines digitalen Euros zu prüfen hat die Europäische Zentralbank dennoch für Aufsehen gesorgt. Was steckt hinter dem Vorhaben?

Ergänzung zu Bargeld und Geschäftsbankengeld  

Bisher gibt es zwei Arten von Geld: (nur) rund wird in Form von Bargeld genutzt, der Rest sind Gelder, die über Geschäftsbanken abgewickelt werden: Überweisungen, aber auch das Zahlen mit der Kreditkarte, das über die Banken abgewickelt wird.
Beim digitalen Euro könnte das Bezahlen auch über das Smartphone abgewickelt werden, aber ohne Umweg von Banken oder Anbieter wie Paypal. Er würde als Geld in elektronischer Form von der EZB ausgegeben und könnte von Privatpersonen und Unternehmen verwendet werden. Die EZB betont, dass es nur als Ergänzung und nicht als Ersatz für das Bargeld geplant ist.

Macht der Kryptowährungen einschränken

Ein wichtiger Beweggrund für die Einführung ist die Konkurrenz durch andere Kryptowährungen – sowohl Nationalstaaten, die die Einführung planen also Unternehmen wie Facebook, die mit ihrer Idee eine eigene Währung zu etablieren vor zwei Jahren für Aufsehen gesorgt haben. Auch der Boom um Kryptowährungen wie Bitcoin spielt dabei eine wichtige Rolle.

Viel Kritik und Zweifel

Noch sind viele Fragen offen, viele kritisieren und zweifeln am Vorhaben. Die Geschäftsbanken befürchten, dass sie überflüssig werden könnten. In der Tat finde ich den Hinweis, dass die Zentralbank im Gegensatz zu Geschäftsbanken nicht pleitegehen können, fragwürdig. Dies stimmt zwar, schafft aber nicht unbedingt Vertrauen in das System. Deshalb ist es sinnvoll, das ganze Vorhaben kritisch zu prüfen.

Weitere Informationen:

Europäische Zentralbank: Digitaler Euro

Tagesschau: EZB startet Probephase 

NTV: Digitaler Euro - was auf die Verbraucher zukommt

Montag, 16. August 2021

Internationale Mindestbesteuerung - Das Ende der Steueroasen?

Müssen große internationale Unternehmen endlich Steuern bezahlen? Eine Übereinkunft von 131 OECD-Staaten macht Hoffnung auf ein Ende der Steueroasen. Das Konzept sieht zwei Säulen vor: Eine Mindeststeuer von 15 % und eine fairere Verteilung der Steuereinnahmen. Beides gilt nur für große Unternehmen.
Es wird noch schwierig, aber alleine, dass es so weit gekommen ist, ist bereits ein tolles Ergebnis. Mark Schieritz erzählt die Entstehung der Idee und gibt einen Überblick über die Folgen

Mindeststeuer von 15 %

Große Unternehmer ab einer Umsatzgröße müssen mindestens 15 Prozent Steuer bezahlen. Verlangt ein Staat weniger, darf das Herkunftsland die restlichen Steuern einfordern. Beispiel Irland: Hier müssen Unternehmer nur einen Steuersatz von 12,5 % zahlen, die restlichen 2,5 % dürften vom Heimatland des Konzerns verlangt werden. Dadurch entsteht ein Anreiz für alle Länder, mindestens diese 15 % zu verlangen.

Andere Verteilung der Steuereinnahmen

Bislang zahlen Unternehmen dort Steuern, wo sie produzieren. Im digitalen Zeitalter führte das zu Verschiebungen, da Unternehmen behaupteten, ihre Lizenzen seien in Steueroasen zu Hause. Nun sollen große Unternehmen einen Teil der Steuern dort zahlen, wo diese Umsätze anfallen. Unternehmen wie Apple oder Facebook müssten also auch in Deutschland Steuern zahlen. Die Mindeststeuer wäre auch das Ende der Digitalsteuer, die manche Länder eingeführt haben bzw. einführen wollten.

Wer gewinnt und wer verliert?

Deutschland ist ein großer Absatzmarkt und Heimat vieler Weltkonzerne. Es ist also nicht eindeutig, wie die Bilanz für Deutschland aussehen würde. Verlierer sind aber sicher die Steueroasen, die mit minimalen oder keinen Steuern bisher große Unternehmen anlocken. Gewinner hingegeben Hochsteuerländer. „Tendenziell profitieren davon Länder mit großen Märkten, während Nationen eher verlieren, in denen Unternehmen ihren Sitz haben und von dort in alle Welt liefern“  so Schieritz.

Politik als die Kunst des Möglichen

Es ist noch ein langer Weg bis zur Umsetzung, viele Expert*innen bezweifeln, ob dies überhaupt möglich ist. Aber allein die Tatsache, dass sich 131 Länder darauf geeinigt haben, ist symbolisch kaum zu überschätzen. Schieritz schließt deshalb seinen Artikel auch mit den passenden Worten: Es heißt, Politik sei die Kunst des Möglichen. Die Geschichte der Mindeststeuer zeigt, dass manchmal mehr möglich ist als gedacht.

Mittwoch, 11. August 2021

Die Klimaziele der EU - fit for 55?

Der Green Deal klang bereits ambitioniert, nun hat die Kommission mit einem umfassenden Vorschlag deutlich gemacht, wie die EU es schaffen will, bis 2050 klimaneutral zu sein. Thomas Fischermann beschreibt in der ZEIT, Stefan Schultz und Markus Becker im SPIEGEL und ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung beschreiben Ziele und mögliche Probleme.

Neuer Emissionshandel für Sprit, Heizöl und Gas

Diesen Handel gibt es bereits seit 2005, jetzt werden die Ziele verschärft. Statt wie bisher 43 % muss der Industriesektor bis 2030 nun im Vergleich zu 2005 mindestens 62 Prozent weniger emittieren. Bisher war nur eine Reduktion von 43 Prozent angesetzt gewesen. Ab 2026 sollen die Firmen zudem weniger Gratiszertifikate erhalten. Durch einen Klimafonds sollen Härten vermieden werden. Außerdem schlägt die EU vor, ab dem Jahr 2035 keine neuen Verbrenner mehr zuzulassen.

Klimazölle als Schutz vor dem Ausland

Damit europäische Unternehmen durch diese Regelungen im internationalen Wettbewerb nicht benachteiligt werden, plant die EU einen „Grenzausgleichsmechanismen“: Der mögliche geringere CO2-Ausstoß in anderen Ländern wird an der der Grenze nachbesteuert. Viele befürchten eine erhöhte Bürokratie und Handelskonflikte. Nicht nur aus China und Indien kamen Proteste, auch die deutsche Industrie warnte.

Die blinden Flecken bei Ökostrom und grünem Wasserstoff

Kritisiert wird auch, dass beim „Fit for 55“nicht klar wird, wo die ganzen Flächen für den Ökostrom herkommen sollen. Auch beim grünen Wasserstroff als Grundlage für eine CO2-freie Industrie gibt es bisher kaum Produktionskapazitäten.

Europa in der Pole-Position

Es gibt aber auch Grund zum Optimismus. Viele der Technologien zum sozioökonomischen Umbau sind bereits marktreif, auch Kapital ist vorhanden. Untersuchungen zeigen, dass sich der grüne Wandel rechnet – die hohen Investitionen werden in den Folgejahren durch niedrigere Energie- und Betriebskosten ausgeglichen. Europa könnte in diesem Bereich eine Führungsrolle übernehmen.
McKinsey betont, dass dies auch politisch gelingen kann, denn die europäischen Wohlfahrtsstaaten am ehesten in der Lage sind, soziale Folgen der Umstellung abzufedern.

Keine ernsthafte Alternative

Um die genaue Ausgestaltung der Ziele kann und muss gestritten werden, aber es gibt keine ernsthafte Alternative. Es zeigt sich wieder Mal der Vorteil des europäischen Systems: Die Kommission kann ohne Angst klare Ziele formulieren, auch wenn sie dafür Prügel von allen Seiten einsteckt.

Weitere Informationen

Europäische Union: Pressemitteilung
Süddeutsche Zeitung:  Fit for 55 und CO2-Grenzsteuer

Mittwoch, 4. August 2021

Demokratisches Europa?

Gabriele Abels ist Professorin in Tübingen. Ihren tollen Vortrag „Demokratisches Europa“ habe ich live erlebt und ist auch auf dem YouTube-Kanal der VHS Tübingen abrufbar:
Sie beschreibt darin Probleme mit der Demokratie auf der europäischen Ebene und bei den Mitgliedstaaten.

Dürfte die EU der EU beitreten?

Sie begann ihre Einführungen mit der These, dass die EU der EU nicht beitreten dürfte, da sie die Kriterien für Beitrittsstaaten nicht erfüllt.
Die Diskussion über dieses Demokratiedefizit geht schon lange zurück, v.a. als die Erfolge nicht mehr so eindeutig waren. Diese „Output-Legitimation“ war lange der Fokus. Der Verfassungsvertrag, der dieses Defizit beseitigen sollte, ist jedoch bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden gescheitert. 

Ist die Demokratisierung der EU möglich und erstrebenswert?

Abels beschreibt vier Ansätzen, die sich unterscheiden, ob eine Demokratisierung möglich und erstrebenswert ist. Während „Pessimisten“ diese zwar für erstrebenswert, aber nicht möglich halten, da die EU kein Volk ist, halten Fatalisten dies auch nicht für erstrebenswert.
Forscher wie Moravsik sehen in den Staats- und Regierungschefs und den Rat für zentral für das Funktionieren der EU und eine Demokratisierung zwar für möglich, aber nicht für erstrebenswert.
Die Optimisten hingegen verweisen auf den steigenden Einfluss der Zivilgesellschaft und die Stärkung des Europäischen und der nationalen Parlamente, d.h. eine Demokratisierung ist notwendig und möglich.

Demokratieprobleme bei den Nationalstaaten

Als dramatisch bezeichnete Abels die Entwicklung in einigen Nationalstaaten, allen voran Ungarn und Polen. Studien wie das Freedom House oder der Bertelsmann-Index sehen beiden Staaten nicht mehr als funktionierende Demokratien.
Dies hat dramatische Folgen für die EU – der Wertekanon wird ebenso in Frage gestellt wie die Rolle des Europäischen Gerichtshof als Fundament für die Rechtsgemeinschaft, politische Entscheidungen werden blockiert. 

Neue Verfahren als Lösungsansätze?

Da die bisherigen Instrumente zu schwach waren, setzt Abels Hoffnung in neue Methoden
Das Rechtsstaats-Monitoring hat Defizite in allen Staaten klar benannt, vor allem betroffen waren aber Polen und Ungarn. Die andere Hoffnung ist das Geld: Durch die Blockade von Mitteln aus dem Haushalt oder dem EU-Fonds könnten die Länder zum einlenken gebracht werden.  

Der Vortrag als Video 

Hier sehen Sie den ganzen Vortrag von Frau Abels: 





Dienstag, 27. Juli 2021

Letzter Ausweg Polexit?

Ulrich Krökel analysiert in der ZEIT den heftigen Streit zwischen der EU und Polen.

Fortbestand der Rechtsgemeinschaft steht auf dem Spiel

Bereits in der Vergangenheit haben Polen und Ungarn immer wieder gezeigt, was sie von den Rechtsstaatsprinzip handeln. Darüber habe ich mich bereits in mehreren Blogeinträgen aufgeregt. Mit der Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts Urteile des Europäischen Gerichtshof nicht anzuerkennen, hat Polen den Bogen aber überspannt.

Bisherige Maßnahmen liefen ins Leere

Mit einem Rechtsstaatsverfahren, an dessen Ende die Aussetzung der Mitgliedschaft stehen könnte, hat die EU versucht, dem Treiben ein Ende zu setzen. Da bei der letzten Entscheidung sich alle anderen Länder einig sein müssen, können sich Polen und Ungarn gegenseitig absichern.

Aussitzen wird diesmal nicht funktionieren

Schlechtes Vorbild für das Vorgehen der polnischen Richter war ausgerechnet das Bundesverfassungsgericht, das mit seinem Urteil zu Anleihenkäufen der EZB die Autorität des Europäischen Gerichtshof in Frage gestellt haben. Hier geht es aber um mehr. „Vielmehr dürfte Polen in den kommenden Jahren zum Schauplatz eines Kräftemessens um die zukünftige Ausgestaltung der EU werden.“

Kommt der Polexit light?

Während der Autor einen Polexit für wenig wahrscheinlich hält – eine Mehrheit der Bevölkerung bekennt sich zur Mitgliedschaft – könnte es zu einem Polexit light kommen. Polen, das ohnehin nicht zur Eurozone gehört, könnte sich immer stärker von der EU-Integration verabschieden. Gemeinsam mit anderen Rechtsaußenparteien könnte Polen damit die Agenda bestimmen.

Mittwoch, 14. Juli 2021

Die Europameisterschaft – ein politisch aufgeladenes Turnier

Politik und Sport lassen sich nicht trennen. Auch in der Vergangenheit versuchten Politiker*innen große Sportereignisse für sich zu nutzen. Die üblen rassistischen Beleidigungen für die englischen Spieler, die beim Finale verschossen haben, war nur der traurige Höhepunkt einiger Skandale. Die Sportschau listet die diversen Fälle auf.

Corona und volle Stadien

Auch ohne Corona wäre die wilde Hin- und Herfliegerei zwischen den 11 Ausrichterländer problematisch, durch Corona wurde es endgültig zur Farce. Die UEFA erpresste erfolgreich Länder, die weniger Zuschauer zulassen wollten und erreichten dadurch volle Stadien – und viele Neuinfektionen.

Der Streit um das Regenbogensymbol

Während sich die UEFA gegenüber der Regenbogenbinde von Manuel Neuer „großzügig“ zeigte, verbot sie der Stadt München die Beleuchtung des Stadions. In Aserbaidschan und Russland wurden Sponsoren Werbung in Regenbogenfarben verboten, Sicherheitskräfte konfiszierten Regenbogen-flaggen in Baku.

Zusammenarbeit mit Diktatoren

Mit Aserbaidschan, Ungarn und Russland gab es gleich drei Gastgeber, die sich immer weiter von europäischen Werten entfernen. Zur Belohnung für seine sorglose Haltung bei Corona hätte Orban fast noch die Halbfinale und das Endspiel austragen dürfen – wäre England nicht eingeknickt und hätte volle Stadien zugelassen. Auch bei den Sponsoren war mit nicht zimperlich: Vier Sponsoren kommen aus China und mit der „Quatar Airways“ als offizielle Fluglinie des Turniers hat man schon einen Vorgeschmack auf die WM 2022.

Politisch mündige Spieler

Erfreulich fand ich die Aktionen vieler Spieler. Neben der Regenbogenbinde knieten viele Menschen aus Protest gegen Rassismus. Bemerkenswert auch die Aktion von Leon Goretzka, der auf die rassistischen und homophoben Attacken ungarischer Fans mit einem Herz antwortet.

Corona, Regenbogen und Diktaturen

Das Politikmagazin Monitor brachte es auf den Punkt:
Die UEFA wollte mit der Fußball-EM ein "Leuchtfeuer der Hoffnung" senden. Daraus geworden sind Spiele als Corona-Infektionstreiber und Kuscheln mit Demokratiefeinden wie Viktor Orbán in Ungarn oder Ilham Aliyev in Aserbaidschan. Von Toleranz und Vielfalt konnte keine Rede mehr sein. Ein Vorgeschmack nur auf das, was uns dann im nächsten Jahr bei der Fußball-WM in Katar erwartet. Wo Menschenrechte, Vielfalt und Toleranz keine Grundwerte sind, sondern eher ein Grund, jahrelang weggesperrt zu werden.

Freitag, 2. Juli 2021

Brexit, Corona und die Krone

In einer Sonderausgabe des Auslandsjournals ging es um Großbritannien. Der Bericht Brexit, Corona und die Krone ist noch bis Juli 2023 in der Mediathek.

Zerreißprobe für das Vereinigte Königreich

In der Dokumentation geht es um die Unabhängigkeitsbewegungen in den Landesteilen. In Schottland hat die Schottische Nationalpartei die Mehrheit und strebt ein weiteres Referendum an. Aber auch in Wales mehren sich die Stimmen nach einer Trennung.

Gefahr für den Frieden in Nordirland

In Nordirland mehren sich die Stimmen für einen Anschluss an die Republik Irland. Aber auch hier ist die Gesellschaft tief gespalten, denn für die Protestanten wäre ein solcher Schritt inakzeptabel. Auch hier zeigt sich, wie der Brexit die gesellschaftliche Spaltung vertiefte und eine Gefahr für den Frieden darstellt.

Kann die Queen das Königreich zusammenhalten?

Die große Popularität der König hilft im Moment noch das Land zusammenhalten. Der Untertitel der Dokumentation ist aber berechtig: Die Queen muss um die Einigkeit ihres Königreichs bangen.


Donnerstag, 24. Juni 2021

Bidens Reise durch Europa – die Wiederkehr des Westens?

Angesichts der Politik von Donald Trump sah nicht nur Joschka Fischer das Ende des Westens, wie wir ihn kennen. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an Joe Biden, auch bei seiner Reise durch Europa.

Rückkehr zur internationalen Kooperation

Wichtigste Nachricht für Europäer: Joe Biden setzt auf internationale Zusammenarbeit. Er zeigt dies unter anderem durch den Wiedereintritt in die Weltgesundheitsorganisation und das Klimaabkommen von Paris. Auch die transatlantische Partnerschaft möchte er reaktiveren, verbindet dies aber auch mit einer hohen Erwartungshaltung an die Europäer

Reise durch Europa – der Westen steht zusammen

Dies verdeutlichte Biden auch bei seiner Europareise, die ihn zu dem G7-Treffen, der NATO, EU und abschließend zu einem Treffen mit Russlands Präsident Putin führte. So unterschiedliche die Aufgabe und die Zusammensetzung der Treffen war, eine grundlegende Botschaft war: Der Westen hält zusammen. Beim NATO-Treffen sprach Biden von der Beistandspflicht als heiliger Verpflichtung – nicht nur für die osteuropäischen Mitglieder eine beruhigende Äußerung, nachdem Trump diese öffentlich in Frage gestellt hatte.

China und Russland in der Kritik

Spätestens seit der Besetzung der Krim ist Russland Hauptadressat westlicher Kritik. Diese zeigte sich sowohl bei der NATO als auch beim G7-Treffen. Diesem Treffen führender Industriestaaten hatte Russland zwischen 1998 bis 2014 noch angehöhrt, mittlerweile sind auch hier die Fronten verhärtet.
Erstmals nannte eine NATO-Entschließung auch China als Herausforderung, Sorgen bereiten das steigende Waffenarsenal als auch der Einfluss in der Welt. Als Antwort darauf haben die G7-Staaten eine Alternative zur Seidenstraße angekündigt.

Differenzen bleiben

Die Einigkeit in vielen Punkten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass in vielen Punkten Differenzen bleiben, auch in Bezug auf China: Während die Amerikaner China als militärischen und technologischen Rivalen betrachten, ist es für die Europäer ein Wachstumsmarkt. Auch beim Abbau der gegenseitigen Strafzölle gab es nur wenig Bewegung – die USA bleiben ein schwieriger Partner.

Wiederbelebung des Projekts Westens?

Diese Differenzen können aber in einem Dialog behandelt werden – ein weiterer großer Vorteil zu Trump Vorgehen. „Biden beschimpft die Europäer nicht, er bitte sie höflich zum Schwur – ob die Europäer dem immer folgen werden, bleibt ebenso abzuwarten wie die Frage, ob die Wiederbelebung des Westens wirklich gelingt.

Weitere Informationen

Deutschlandfunk: Gipfel in Brüssel

Dienstag, 15. Juni 2021

Wer hat das letzte Wort in Europa?

Mit einem Strafverfahren gegen Deutschland eskaliert der Streit zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof. Thomas Kirchner analysiert dieses Verfahren in der Süddeutschen Zeitung und zeigt Hintergründe auf.

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Machtfrage gestellt

Eigentlich war das Thema schon fast durch. Im Mai 2020 stellte das Bundesverfassungsgericht bei einer Entscheidung zum Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank die Autorität der Luxemburger Richter in Frage – und wie: "objektiv willkürlich" und "schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar“. Die EZB hatte eine Erklärung zum Programm geliefert, die Deutschland akzeptiert hat.

Eigentliches Ziel Polen und Ungarn?

Nun hat die Kommission ein Verfahren wegen Verletzung von EU-Recht ein. Urteile des obersten EU-Gerichts seien für alle Staaten verbindlich. Der Autor vermutet, dass dieses Urteil eher an Polen und Ungarn gerichtet ist, die mit Verweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts betont haben, dass ihre Verfassungen übergeordnet sind.

Pragmatische Lösung in Sicht

Der Artikel zitiert einige Experten, die bezweifeln, ob dieses Verfahren sinnvoll, denn sowohl der Streit mit Polen und Ungarn als auch die Frage nach dem letzten Wort kann nur politisch entschieden werden. Andere verweisen auf mögliche Zwischentöne: bisher habe die EU die Spannung zwischen nationalem und EU-Recht immer pragmatisch aufgelöst.

Donnerstag, 20. Mai 2021

Chance oder Placebo: Die Zukunftskonferenz der EU

Mit einiger Verspätung hat die Zukunftskonferenz der Europäischen Union begonnen. Die Corona-Pandemie hat für die Verzögerung gesorgt, aber auch die Notwendigkeit von Reformen nochmals sehr deutlich gemacht.

Plattform zum mitmachen

Über die Plattform können Bürger*innen Ideen einbringen, an Veranstaltungen teilnehmen und sie selber initiieren. 108 Bürger*innen sind auch im Plenum der Konferenz vertreten, neben ebenso vielen EU-Abgeordneten und Vertreter*innen nationaler Parlamente. Außerdem gibt es noch zwei Vertreter*innen pro Mitgliedsland, insgesamt 433 Mitglieder.
Die Urteile über diese Konferenz sind sehr unterschiedlich.

Gemeinsame Zukunft gestalten

Die Europäische Union ist natürlich begeistert und sieht die Konferenz „als europaweite Übung in Sachen Demokratie“. Die Konferenz biete „ein neues öffentliches Forum für eine offene, inklusive und transparente Bürgerdebatte über zentrale Prioritäten und Herausforderungen.“
Frankreichs Präsident Macron ist ein Befürworter, er hat die Idee bereits zu Anfang seiner Präsidentschaft vorangetrieben. Der Zwischenbericht fällt im Frühjahr mit der französischen Präsidentschaftswahl zusammen. Andere verweisen weniger euphorisch auf den dringenden Reformbedarf.

Skeptisch bis offen feindselig

Andere sehen das Projekt kritischer. In Nord- und Osteuropa sehen viele die Konferenz als lästige Pflichtübung, die von den eigentlichen Aufgaben ablenkt, manche sind „skeptisch bis offen feindselig, da sie darin ein Egoprojekt von Emmanuel Macron sehen. Ein Blick auf bisherige Versuche wie den Bürgerdialog der Mitbestimmung zeigen, dass diese Sorgen nicht unberechtigt sind.

Debatten und Bürgerbeteiligung sind notwendig

Trotz aller Bedenken halte ich die Konferenz für eine gute Sache. Einerseits weil Diskussion über die Zukunft notwendig und wichtig sind. Andererseits sollten die Bürger*innen in diesem Prozess mitgenommen werden – Bürgerräte in Irland und auf lokaler Ebene zeigen, dass diese wichtige Impulse liefern können. Natürlich muss man ihnen auch zuhören, dann wäre es wirklich eine Chance für die Zukunft Europas.

Weitere Informationen

Süddeutsche Zeitung: Die Zukunftskonferenz
Deutsche Welle: Mitmachen erwünscht

Freitag, 23. April 2021

Ferdinand von Schirachs Vorschläge für neue Grundrechte

Ferdinand von Schirach ist bekannt für eine ganze Reihe spannender Bücher und Filme. Nun hat er mit dem recht kurzen Buch „Jeder Mensch“ für Aufmerksamkeit gesorgt.
Er schlägt sechs neue Grundrechte vor, die von einem Verfassungskonvent der EU beschlossen werden sollen.

Neue Grundrechte in Europa

Auf der Seite „Neue Grundrechte in Europa“ werden die Gründe vorgestellt.  
Die Politik scheint mit sechs der größten Herausforderungen unserer Zeit nicht mehr zurecht zu kommen: Umweltzerstörung, Digitalisierung, Macht der Algorithmen, systematische Lügen in der Politik, ungehemmte Globalisierung und Bedrohungen für den Rechtsstaat.
Nötig sind deshalb sechs neue Grundreche:

  • Artikel 1 – Umwelt: Jeder Mensch hat das Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben.
  • Artikel 2 – Digitale Selbstbestimmung: Jeder Mensch hat das Recht auf digitale Selbstbestimmung. Die Ausforschung oder Manipulation von Menschen ist verboten.
  • Artikel 3 – Künstliche Intelligenz: Jeder Mensch hat das Recht, dass ihn belastende Algorithmen transparent, überprüfbar und fair sind. Wesentliche Entscheidungen muss ein Mensch treffen.
  • Artikel 4 – Wahrheit: Jeder Mensch hat das Recht, dass Äußerungen von Amtsträgern der Wahrheit entsprechen.
  • Artikel 5 – Globalisierung: Jeder Mensch hat das Recht, dass ihm nur solche Waren und Dienstleistungen angeboten werden, die unter Wahrung der universellen Menschenrechte hergestellt und erbracht werden.
  • Artikel 6 – Grundrechtsklage: Jeder Mensch kann wegen systematischer Verletzungen dieser Charta Grundrechtsklage vor den Europäischen Gerichten erheben.

Jeder Mensch braucht kein Mensch

Natürlich gibt es auch Kritik, manchen fordern weitere Rechte, andere lehnen das ganze Projekt ab. Stellvertretend für diese Autoren stelle ich Thomas Fischer vor, der in seiner SPIEGEL-Kolumne "Jeder Mensch braucht kein Mensch" von Schierachs Vorgehen hart kritisiert.
Er attestiert ihm gute Absichten und Motive, zweifelt an der Umsetzung. Er verweist auf die bereits bestehende Grundrechtecharte, in der manche Rechte bereits erwähnt werden. Außerdem ist die Umsetzung schwierig bzw. unmöglich wie er an einigen Beispielen deutlich macht:
Beispiel Art. 4: „Äußerungen von Amtsträgern müssen »der Wahrheit entsprechen: „So einfach ist es mit der Wahrheit und den Amtsträgern nicht – leicht vorstellbar, dass es täglich zu hunderten Klagen gegen Unwahrheiten kommt. Auch bei den anderen Rechten erscheint die ernsthafte Umsetzung schwierig: Was bedeutet „gesunde“ und „geschützte“ Umwelt?

Fazit

Die Debatte über die von Ferdinand von Schierach genannten Grundrechte ist notwendig. Die beschriebenen Probleme sind real und die Forderungen nachvollziehbar und berechtig. Die Frage ist aber in der Tat, ob diese in Form einer Veränderung der Grundrechte geschehen sollte oder nicht viel mehr unseren Alltag bestimmen sollte: mehr für die Umwelt, mehr für die Wahrheit  
Und mehr für eine faire Globalisierung zu tun.


Samstag, 27. März 2021

Mehr Autonomie, weniger Nachgiebigkeit

Die Süddeutsche Zeitung berichtet über die Pläne der EU für die Handelspolitik: So will Europa in den kommenden Jahren beim Handel mitmischen

Mehr Autonomie, weniger Nachgiebigkeit

Das neue Strategiepapier der EU-Kommission zeigt eine selbstkritische, aber auch selbstbewusste Union.
In dem Papier werden in traditioneller Manier die Vorzüge offener Grenzen und eines freien Warenhandels gepriesen. Auch die verlässlichen internaionalen Regeln werden betont. Die EU will sich aber auch gegen „feindliche Akte“ schützen

Eigenständigkeit gegen China und Amerika

Test der neuen Strategie werden die USA und China. Der neue US-Präsident Biden möchte im Rahmen seiner „Buy American“-Politik einheimische Anbieter bevorzugen. Noch problematischer wird der Umgang mit China, mit der aggressiven Außenwirtschaftspolitik muss China erst mal umgehen lernen.

Handelsabkommen bleiben Ziel

Enttäuscht von dem Strategiepapier der Kommission dürften all jene Globalisierungskritiker sein, die Handelsabkommen generell als Kniefall vor den großen Konzernen der Welt betrachten und gehofft hatten, die EU werde sich von dem Instrument verabschieden. Sie sind notwendig, um Europas Werte und Interessen international zur Geltung zu bringen und durchzusetzen.

Dienstag, 16. März 2021

Erlebt Italien eine Revolution? Draghi neuer Ministerpräsident

Die Beobachter waren sich weitgehend einig: Die Wahl es ehemaligen Chefs der Europäischen Zentralbank Mario Draghi zum neuen italienischen Ministerpräsidenten ist eine gute Wahl. 

Eindämmung der Populisten 

Draghi hat es mit seiner breiten Koalition die Populisten der 5-Sterne-Bewegung und Mario Salvini ebenso einzubinden wie das notorisch zerstrittene Lager der Sozialdemokraten. Sie alle ändern sich ebenso wie die italienische Politik. Ein Teil der der Lega denkt schon an die Zeit nach Salvini und auch der 5-Sterne-Bewegung könnte durch den bisherigen Ministerpräsident Conte ein seriöseres Image bekommen. 

Bereinigung des Klamauks 

Oliver Meiler bei bezeichnet in seinem Artikel in der Süddeutschen Draghi als Revolutionsführer, der den Klamauk bereinigt. Draghi arbeitet still vor sich her und entwirft eine Impfstrategie und einen Wiederaufbauplan für die Zeit nach der Pandemie. 

Die Wandlung des Parteiensystem

Andrea Bachstein beschreibt in ihrem Kommentar Das italienische Experiment den bisherigen Wandel der Parteien. Nach dem Ende des Parteiensystems mit Christdemokraten und Sozialisten kamen und gingen die Akteure: Erst Berlusconi, der lange Premierminister war und immer noch mitmischt, dann der Komiker Beppo Grillo mit seinen Fünf Sternen und zuletzt Mario Salvini. 

Hält Draghi die Parteien vom Egotrip ab? 

Sie hofft, dass Draghi für Ruhe sorgt, es bleiben aber Risiken:
Draghi hat nun wie viele Regierungschefs vor ihm eine Koalition in Rom, die inhaltlich wenig verbindet außer Machtstreben. Seine internationale Autorität und die große Zustimmung der Italiener zum neuen Premier dürften dem neuen Regierungschef die Stärke geben, die Parteien eine ganze Weile von Egotrips abzuhalten. Aber ein Experiment bleibt es allemal.

Mittwoch, 10. März 2021

Kommt jetzt die Inflation?

Schon seit vielen Jahren prophezeien einige Experten, dass nun die Inflation kommt. In den letzten Jahren kam diese nicht, obwohl bereits seit der Finanzkrise die Geldmenge massiv ausgeweitert wurde.

Kommt die Inflation dieses Mal?

Seit der Corona-Krise haben die Zentralbanken die Geldmenge nochmals erhöht. Die Staaten haben billionenschwere Rettungspakte beschlossen, sodass manche eine Überhitzung der Konjunktur befürchten.
Charles Goodhart glaubt, dass früher oder später die Alterung der Gesellschaft die Preise treiben wird, weil es zugespitzt formuliert weniger Junge (die produzieren) und mehr Alte (die konsumieren) geben wird

Rückkehr der Geißel

Auch der SPIEGEL befürchtet eine steigende Inflation und macht dies an der rasanten Steigerung der Geldmenge fest. Sie nennen mehrere Faktoren, die sich gegenseitig verstärken und die Prise treiben. Auch der Staat fungiert als Preistreiber: Die Mehrwertsteuer wurde nach sechsmonatiger Absendung zu Beginn des Jahres wieder auf den regulären Satz erhöht, hinzu kommt die Steigerung der Spritpreise durch die CO2-Steuer. Auch Rohstoffe haben sich verteuert.
Ein Grund für die niedrigen Inflationsraten war die Globalisierung – der Zurückgang dieser könnte ein weiterer Faktor sein.

Nur keine Angst

Harald Freiberger mahnt in der Süddeutschen zur Gelassenheit. Neben den bereits genannten Gründen sieht er auch den kommenden Nachholbedarf als weitere Triebkraft. Aber dieser Effekt dürfte nachlassen, sodass nach einer Übergangsphase „wenig Inflation, kaum Zinsen, ein freundliches Klima für Sachwerte wie Immobilien und Aktien. Er verweist auf ein anderes Problem: Das Geld auf dem Sparbuch liegen zu lassen, war und bleibt ein Minusgeschäft – daran wird sich nichts ändern.

Dienstag, 23. Februar 2021

Vorschläge für eine bessere Migrationspolitik

In einem Essay macht Maximilian Popp im SPIEGEL Vorschläge für eine bessere Migrationspolitik.
Er sieht in der Genfer Flüchtlingskonvention eine der großen zivilisatorischen Errungenschaften der Nachkriegszeit, diese jedoch braucht einen Neuanfang. Er verweist auf die humanitäre Entwicklungspolitik 2015, die anschließende Kritik, aber auch die Notwendigkeit Migration zu gestalten. Die EU als „politisch-moralische Kraft… kann das Elend an ihren Rändern nicht ignorieren, ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren, ohne selbst Schaden zu nehmen“.

1. Realistische Perspektive

Popp verweist auf Ungenauigkeit der Flüchtlingszahlen. 80 Millionen sind ein erschreckender Rekordwert, allerdings werden Palästinenser gezählt, die seit Jahrzehnten in Jordanien leben oder auch Flüchtlinge innerhalb von Kolumbien. Popp fordert nur Menschen zu zählen, die in akuterer Not sind, das sind 15-20 Millionen „ein lösbares Problem“  

2. Koalition der Willigen

Viele Regierungen rechtfertigen ihr Nichtstun mit der Suche nach einer gesamteuropäischen Lösung. Hier fordert Popp eine Koalition der Willigen - möglichst viele Staaten sollten für den Flüchtlingsschutz gewähren, v.a. Länder, die bisher Solidarität verweigern: Japan, China oder Brasilien

3. Von Kanada lernen

Unser Asylsystem krankt an einem Paradox, da Flüchtlinge nur dann vom Grundrecht Gebrauch machen können, wenn sie europäischen Boden betreten. Die fast logische Folge ist Abschottung. Popp verweist auf die Aufnahme von Flüchtlingen aus Vietnam. Ähnlich wie Kanada könnten Staaten gezielt Flüchtlinge aufnehmen, dort wird die Umsiedlung auch überwiegend von Privatpersonen finanziert.

4. Deals mit Drittstaaten

Popp fordert Abkommen mit Drittstaaten und verweist auch hier auf erfolgreiche Beispiele. Nach der Aufhebung der Visumspflicht für Ukrainer wurde gleichzeitig das Rückführungsabkommen umgesetzt. Mit Staaten wie Tunesien, aus denen nun ein geringer Anteil Asyl bekommen, könnte ein Abkommen für eine geregelte Migration sorgen.

5. Menschlich bleiben

Der letzte Punkt ist vielleicht der wichtigste: Menschlich bleiben. Die Vorwürfe gegen FRONTEX habe ich im letzten Blogeintrag behandelt, auch Kroatien und Griechenland stehen in der Kritik. Die EU muss diesen Vorwürfen nachgehen „Wenn sie beweisen will, dass sie den Flüchtlingsschutz ernst nimmt, sollte sie dies auch konsequent bei Verstößen gegen das Asylrecht tun“.

Dienstag, 16. Februar 2021

Frontex – eine Agentur außer Kontrolle

Eine Agentur außer Kontrolle“ nannte die ZEIT Frontex. In der Tat reiht sich ein Skandal an den anderen, sehr anschaulich gemacht von Jan Böhmermann in seiner Sendung ZDF Magazin Royale.

Immer größer, immer mehr Geld

Die EU-Agentur Frontex wurde 2004 gegründet, um gemeinsame Einsätze der Mitgliedstaaten an der Außengrenze zu koordinieren. Sie ist in den vergangenen Jahren gewachsen wie keine andere EU-Agentur. 5,6 Milliarden Euro soll sie bis 2027 aus dem EU-Haushaltsbudget erhalten, 10.000 eigene Grenzbeamte einstellen. Dazu kommt polizeiliche Ausrüstung: Streifenwagen, Flugzeuge, Drohnen, Handfeuerwaffen.

Immer mehr Skandale

Schon seit langer Zeit steht FRONTEX in Verdacht, Schiffe mit Flüchtlingen in die Türkei oder nach Libyen abzudrängen, sog. Push Backs. Hinzu kommen nun zahlreiche weitere Vorwürfe: Mobbing, Korruption bei der Beschaffung, die Weigerung Menschenrechtsbeauftragte einzustellen und mangelnde Transparenz.

Kaum Kontrolle

Das EU-Parlament kann nur indirekt über das Budget Einfluss nehmen und die Mitgliedstaaten reagieren nicht – oder tolerieren das Verhalten. Immerhin ermittelt die EU-Antikorruptionsbehörde, aber offensichtlich war es notwendig, dass Jan Böhmermann und sein Team systematisch Dokumente analysierte und veröffentlichte. Auch die unsägliche Verbindung zur Rüstungsindustrie wird aufgearbeitet.

ZDF Magazin Royale über FRONTEX

Am 5. Februar berichtete Jan Böhmermann über Frontex – mit erschütternden Details über die Arbeit von FRONTEX und damit auch der Europäischen Union.


Sonntag, 7. Februar 2021

Orban, die EU und die Rechtsstaatlichkeit

Nachdem die EU im letzten Blogeintrag mit Lob überschüttet wurde, geht es diesem Beitrag mal wieder um eines der größten Probleme – die Rechtsstaatlichkeit und das Verhalten von Victor Orban (und die hilflose Reaktion der Europäer)
Die Dokumentation in ARTE mit dem treffenden Titel „Hallo, Herr Diktator“ zeigt die Entwicklung von einem jungen liberalen Reformer 1989 zu einem immer autoritäreren Regierungschefs, der Wortungetümen wie „illiberale Demokratie“ geprägt haben.

Kampf gegen Presse und Wissenschaft

Nach der Rückkehr an die Macht 2010 führt einen Kampf gegen die freie Presse und die freie Wissenschaft. Gelegentlich weicht er zurück, um dann umso entschlossener weiterzumachen. Oppositionelle Zeitungen wird die Arbeit fast unmöglich gemacht, mit einer von Antisemitismus strotzenden Kampagne gegen seinen ehemaligen Förderer Soros hat er die Central European University aus Budapest vertrieben.

Macht wichtiger als Werte?

Die EU und die Mitgliedstaaten haben dem Treiben bisher teilnahmslos zugeschaut. Der Bericht zeigt, dass Orban während der Flüchtlingskrise hofiert wurde, besonders von Horst Seehofer und der CSU. Der Europäischen Volkspartei distanziert sich zunehmend, Orbans Partei ist aber nach wie vor Mitglied der Fraktion im Europäischen Parlament. Die Ablehnung der EU hindert Orban nicht, sich und seine Freunde an absurden Förderprogrammen der EU zu bereichern.

Ein faustischer Pakt?

Das Rechtsstaatsverfahren der EU nach Artikel 7 ist bisher im Sande verlaufen, entsprechend groß war die Hoffnung, über den neuen Haushalt Druck auszuüben. Aber auch diese Maßnahmen gestalteten sich schwierig, denn Ungarn und Polen blockierten die Einigung und damit auch die dringend notwendige Hilfe für die von Corona betroffenen Mitgliedstaaten.
Letztlich gelang in letzter Minute ein Kompromiss. Der Rechtsstaatsmechanismus kommt, wird aber zunächst in Kraft gesetzt. Orbán hat Zeit gewonnen und kann seine Herrschaft festigen. Ist es ein faustischer Pakt, der Europa sprengt?

Der Film auf ARTE  

Auf der Seite von ARTE wird der Film nur noch bis März zu sehen sein 

Dienstag, 2. Februar 2021

Die Europäische Union als Modell für das 21. Jahrhundert

Dieser Artikel sollte Pflichtlektüre für alle Europäer*innen werden – egal, ob sie der EU positiv, negativ oder gleichgültig gegenüberstehen. Ullrich Fichtner hat im SPIEGEL im Essay Die sanfte Macht (nur für Abonnenten) die Bedeutung der EU herausgearbeitet.

Die EU als globaler Gigant

Die EU stand in den letzten Jahren oft am Abgrund: die Finanzkrise, der Brexit und auch heute sind zahlreiche Probleme wie das Impfstoffchaos prägen das Bild. Dennoch Die EU ist nicht mickrig und unbedeutend, sondern das ganze Gegenteil: ein Gigant, der das Leben auf Erden entscheidend mitgestaltet.
Egal ob Bruttoinlandsprodukt, Handelsvolumen oder Attraktivität: Die EU ist immer vorne dabei, auch in Bereichen, in denen es man nicht vermutet: So ist nicht China, sondern die EU der mit Abstand wichtigste Partner Afrikas, auch als Geldgeber für Entwicklungshilfe und internationale Organisationen weit vor anderen.

Die EU als weltweiter Taktgeber

Technikkonzerne bauen ihre Geräte nach EU-Vorschriften, Kakaoproduzenten beachten Pestizidvorschriften, regionale Staatenbünde organisieren sich nach dem Vorbild Europas. Die viel gescholtene Datenschutzgrundverordnung ist zum globalen Standard geworden, keine Firma kann dies ignorieren, da die EU ein wichtiger Markt. Die heftig kritisierte Bürokratie leistet harte Arbeit in der Gesetzgebung und wird als Autorität in vielen Fragen anerkannt.

Eine leise Weltmacht

Fichtner zitiert Anu Bradford, deren Buch The Brussels Effect den Untertitel „Wie die Europäische Union“ die Welt regiert trägt: „Europa ist – im Gegensatz zu traditionellen Vorstellungen, eine leise Weltmacht, und genau darauf beruht ihr Erfolg.“
Bereiche wie die EU-Außenpolitik müssen weiter ausgebaut werden, dass die EU neben der weichen Macht auch als „harte“ Macht anerkannt wird, aber auch hier ist Fichtner optimistisch, in dem er auf die Anfangszeit des Euros verweist. Damals warnten viele vor den entsetzlichen Folgen, heute „ist der Euro die betonharte Zweitwährung der Welt.“  

Modell für das 21. Jahrhundert

Bei all den großen Zielen - wie Frieden bewahren, Weltklima retten, Wohlstand mehren – vergessen viele Europäer den großen Erfolg, „dass es gelungen ist, einen ganzen Kontinent, auf dem sich die Menschen jahrhundertelang zerfleischten, zu einem Modell für das 21. Jahrhundert zu machen.“

Mittwoch, 27. Januar 2021

Der Brexit wirkt

Eine Analyse von Bettina Schulz in der ZEIT zeigt die bitteren Folgen des Brexits, selbst die Fischer sind keine Brexit Fans mehr. Die Probleme des Brexits werden durch die Corona-Pandemie überlagert, einige Probleme zeigen sich aber jetzt schon deutlich

Massive Probleme für den Handel

Der Artikel verweist auf Untersuchungen, dass sich Großbritannien im Handel deutlich schlechter stellen wird als zur Zeit der EU-Mitgliedschaften
Mitverantwortlich dafür sind Papierberge und verzögerte Lieferungen durch die Bürokratie. Neben den Unternehmen sind auch viele Kunden überrascht, sie müssen bei Rücksendungen in die EU plötzlich Zoll zahlen.

Künstler werfen der Regierung Versagen vor

Da Großbritannien die Einhaltung der EU-Arbeitsbedingungen nicht akzeptieren wollte, können Musiker, Schauspieler und Künstler nicht mehr fei auf Tournee gehen. Sie müssen sich zukünftig nach 27 unterschiedlichen Reise-, Visa- und Arbeitsbedingungen der EU halten.

Auch die Fischer sind keine Brexit-Fans mehr

Vielen Fischern, ursprünglich in großer Mehrheit Befürworter des Brexits, kommen Zweifel. Europäer dürfen weiterhin in britischen Gewässern fischen, sie können aber nicht mehr mit EU-Mitgliedsstaaten die Fangquoten tauschen. Mit Sattelschleppern haben einige von ihnen vor dem britischen Parlament protestiert. Und die Regierung? Jacob Rees-Mogg wird zynisch: „Das Wichtigste ist doch, unser Fisch gehört wieder uns - und deshalb erst recht glücklich.

Montag, 11. Januar 2021

Die Flüchtlingspolitik der EU ist ein Skandal

Nach dem Lob des letzten Eintrags folgt jetzt wieder Kritik. Ich stelle zwei Kommentare vor, die mit der EU-Flüchtlingspolitik hart ins Gericht gehen – nicht zu Unrecht.

Die Flüchtlingspolitik ist ein Skandal

Um dem Anspruch des christlichen Abendlandes gerecht zu werden, muss die EU ihre Flüchtlingspolitik endlich ändern, fordert der Autor und Grafiker Klaus Staeck in einer Kolumne in der Frankfurter Rundschau
Er verweist auf die dramatischen Zahlen: Weltweit sind mehr als 80 Millionen Menschen auf der Flucht – mehr als je zuvor seit dem 2. Weltkrieg, über 3000 kamen 2020 bei der Flucht ums Leben. Mit Weihnachten und christlichen Werte hat es wenig zu tun, wenn Deutschland Abschiebungen nach Syrien wieder ermöglicht und ein Land wie Polen, dass sich besonders auf christliche Werte berufe, jegliche Solidarität verweigert.

Die EU handelt arrogant und heuchlerisch

Cathrin Kahlweit bezeichnet in der Süddeutschen Zeitung die Appelle der EU an Bosnien als „arrogant und heuchlerisch. Die EU kritisiert die Zustände in Bosnien, die Lage auf den griechischen Inseln ist aber kein Deut besser. Daran ändern auch die Hilfsgelder für Bosnien nichts, die ohnehin zumindest teilweise in obskuren Kanälen versickert sind.
Sich der "Schließung der Balkanroute" zu rühmen, nur um dann das Problem der an der Südgrenze der EU gestrandeten Migranten an Nicht-EU-Staaten auszulagern, ist heuchlerisch.