Freitag, 29. November 2019

Nach holprigem Start - die neue Kommission steht!

Mit einem Monat Verspätung kann die neue Kommission unter Ursula von der Leyen am 1. Dezember 2019 ihr Amt antreten.
Es ist ein buntes Team, das sie um sich versammelt hat – oder besser gesagt, dass die Staaten vorgeschlagen haben. Letztlich entscheiden die Länder, welchen Kommissar sie nach Brüssel schicken, der Einfluss der Präsidentin darf nicht überschätzt werden. Neben der Christdemokratin von der Leyen gehören neun weitere Kommissar/innen der Europäischen Volkspartei an. Die Sozialdemokraten stellen neun, die Liberalen sechs und die Konservativen und Grünen jeweils ein. Die angestrebte Parität hat sie mit 15 Männern und 12 Frauen verpasst.

Holpriger Start oder „Das Europäische Parlament schlägt zurück“

Gleich drei Kandidaten sind gescheitert, d.h. das Europäische Parlament hat ihrer Ernennung nicht zugestimmt. Einige Beobachter/innen sahen darin eine Retourkutsche für die Nominierung von Ursula von der Leyen, es gibt aber auch gute Gründe für die Ablehnung:
Die französische Liberale Sylvie Goulard musste in Frankreich zurücktreten, gegen sie läuft ein Verfahren wegen Scheinbeschäftigungen. Noch absurder Laszlo Trocsanyi, der ehemalige Justizminister, der selber maßgeblich am Demokratieabbau in Ungarn mitgewirkt hat, sollte sich ausgerechnet um die Rechtsstaatlichkeit der Erweiterungskandidaten kümmern.
Zum Ausgleich musste auch eine Sozialdemokratin dran glauben. Die rumänische Kandidatin Rovana Plumb wurde wegen mutmaßlicher Interessenkonflikte abgelehnt.

Wichtige Posten für Timmermans und Vestager

Der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten Frans Timmermans wird sich mit der Klimapolitik beschäftigen. Ebenfalls in hervorgehobener Stelle als "exekutive Vizepräsidentin die dänische Liberale Margarethe Vestager, die ihren Aufgabenbereich als Wettbewerbskommissarin behält.
Weitere wichtige Ämter haben der Sozialdemokraten Joseph Borell als Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik sowie als weiterer Exekutiver Vizepräsident Valdis Dombrovski. Der lettische Christdemokrat ist für Finanzdienstleistungen zuständig.
Dass auch bei anderen Kandidat/innen Fragen offen blieben, hat ausgerechnet der als Spaß-Abgeordnete Martin Sonneborn herausgearbeitet. Man muss kein Freund von ihm sein, seine Facebook-Seite bietet aber gute Unterhaltung und gute Informationen.

Prioritäten der Kommission

Die Kommission hat sechs Prioritäten gesetzt, um die sich kümmern möchte, sehen sie dazu auch meinen Blogeintrag über die Prioritäten.
  • Europäischer Green Deal: Europa soll bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent wenden
  • Eine Wirtschaft im Dienste der Menschen: Mehr soziale Gerechtigkeit durch einen europäischen Mindestlohn und eine verstärkte Bekämpfung der Armut
  • Ein Europa für das digitale Zeitalter: Die Digitalisierung soll vorangebracht werden durch die Förderung von künstlicher Intelligenz
  • Förderung unserer europäischen Lebensweise: Hinter dem "Schutz unserer Bürger und unserer Werte" steht v.a. das Thema Migration
  • Ein stärkeres Europa in der Welt: Festigung der verantwortungsvollen globalen Führungsrolle Europas
  • Neuer Schwung für die Demokratie in Europa: Unsere Demokratie soll gefördert, geschützt und gestärkt werden - u.a. durch einen Rechtstaats-TÜV für alle Staaten und eine Stärkung des Parlaments

Fazit

Ursula von der Leyen hat sich ein ehrgeiziges Programm gesetzt. Sie ist – obwohl sie bei der Wahl auf die Stimmen von Europaskeptikern angewiesen war, eindeutig pro Europa, wie sie bereits ihrer Bewerbungsrede am 16. Juli deutlich gemacht hat:
 „Wer mit mir dieses Europa stärken, wachsen und blühen lassen will, hat mich als leidenschaftliche Kämpferin an seiner oder ihrer Seite. Wer aber dieses Europa schwächen, spalten oder ihm seine Werte nehmen will, der findet in mir eine erbitterte Gegnerin.“
Sie wird mit Widerständen rechnen müssen: die Staats- und Regierungschefs, die auf ihre Interessen schauen werden, das Europaparlament, das nach der gescheiterten Spitzenkandidatenidee zumindest teilweise auf Rache aus ist und möglicherweise auch aus der eigenen Kommission. Eine Chance hat das neue Team aber verdient!


Weitere Informationen

Süddeutsche Zeitung: Am Anfang steht die Balance
Deutschlandfunk: Von der Leyens Team für Europa

Mittwoch, 27. November 2019

Afrikas Beste kommen

Der SPIEGEL berichtet über zwei interessante Studien, die erstaunliche Antworten auf die Gründe von Migration aus Afrika. Nachdem ich in meinem Blogeintrag über die angebliche Sogwirkung von Entscheidungen und Politikern berichtet habe, hinterfragen diese Studien weitere Vorurteile.

Es kommen Afrikas Beste

Christoph Titz berichtet im SPIEGEL über eine Uno-Studie, die 3000 Eingewanderte aus afrikanischen Ländern befragt hat.

Friedliche Länder, besser gebildet und höheres Einkommen 

Fast drei Viertel der Befragten kommt aus vergleichsweise wohlhabenden und friedlichen Ländern wie Nigeria oder Senegal, sie sind besser gebildet, haben ein höheres Einkommen als der Durchschnitt ihrer Länder und sie sind mehrheitlich zwischen 20 und 29 Jahre alt.
Die Forscher folgern:
Migration ist ein Schritt, der erst durch eine ökonomische oder gesellschaftliche Verbesserung möglich wird. Steigt der Wohlstand, kommen die Menschen erst auf die Idee und erhalten die Möglichkeit, sich auf die Reise zu machen.

Nichts hätte sie abhalten können

Auf die Frage, was die Menschen von der beschwerlichen, teuren und gefährlichen Reise abhalten hätte können lautete die Antwort in den meisten Fällen "nichts". Ein weiteres Motiv war der Wunsch, Familien daheim zu unterstützen, was den meisten auch gelingt. Fast alle erlebten die Flucht als schrecklich, auch in Europa sind sie häufig Opfer von Rassismus, dennoch lebt die Mehrzahl gerne in Europa.

Viele wollen zurück 

Ein großer Teil der Menschen gab an, mittelfristig nach Afrika zurückkehren zu wollen. Die Autoren fordern die Erleichterung eines Aufenthalts und Arbeit, die sogenannte "zirkuläre Migration". Dagegen wollen diejenigen bleiben, die wegen Diskriminierung oder ungeklärtem Aufenthalt kein Geld verdienen - wenn möglich für immer. 

Mythos Arbeitsmigration

Eine Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. In einem SPIEGEL-Interview bezeichnet der Leiter des Instituts, Reiner Klingholz, es als Mythos, dass alle Flüchtlinge nach Europa wollen. Klingholz betont, dass viele junge Menschen gerne in ein anderes Land ziehen würden, zwei Drittel bleiben aber in der Region.

"Migrationsbuckel"

Klingholz verweist auf einen Migrationsbuckel. Die höchste Wanderungswahrscheinlichkeit haben Länder mit einem BIP von 8.000 bis 13.000 Dollar pro Kopf, Menschen aus ärmeren Ländern haben schlicht nicht die Mittel. Dennoch warnt Klingholz davor, die Entwicklungshilfe radikal zu kürzen:
Für diese Länder ist eine Förderung des Bildungswesens und der Wirtschaft ohne Alternative, auch wenn beide Aspekte Migration zunächst fördern. Sonst würde das starke Bevölkerungswachstum anhalten und die Länder würden arm bleiben - ein Teufelskreis. Langfristig kann die Bekämpfung von Fluchtursachen funktionieren; dafür braucht man aber einen langen Atem.