Montag, 30. Juli 2018

Abschied von der Globalisierung?


In den Samstag-Ausgaben der Süddeutschen Zeitung sind zwei interessante Essays erschienen, die sich mit der Vergangenheit und der Zukunft des Welthandels und der Globalisierung beschäftigen.

Erst kommen Zölle, dann folgt der Krieg

Der Titel des Essays von Nikolaus Piper ist etwas provokativ, die Bedeutung von Frieden beim internationalen Handel kann aber sicher nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Seine Thesen: Wohlstand ohne Welthandel ist nicht möglich. Sein Verdacht: Nicht nur Trump hat das nicht verstanden. Er hofft, dass Globalisierungsgegner von rechts und links aus der Geschichte lernen
In der Vergangenheit haben Konflikte beim Handel zu Kriegen geführt, wie z.B. die Boston Tea Party. Handel zwischen Länder wiederrum hat nicht zu Wohlstand, sondern auch zu Frieden geführt.

Die Globalisierung macht auch Angst

Die Globalisierung im 19. Jahrhundert schaffte zwar Wohlstand, sie machte aber auch Angst, und sie half den Armen nicht. So entstand einerseits eine linke Arbeiterbewegung, andererseits eine militante, nationalistische, antiliberale und meist auch antisemitische Rechte, die den Schutz der heimischen Wirtschaft vor ausländischer Konkurrenz verlangte.

Internationale Zusammenarbeit nach dem 2. Weltkrieg

Nach dem Krieg entstanden Regeln für den internationalen Warenaustausch. Es entstanden der Internationale Währungsfonds IWF zur Versicherung gegen Zahlungsbilanzkrisen und das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen GATT, aus dem später die Welthandelsorganisation hervorging.

Entwicklung kippt nach dem Kalten Krieg

Der Autor sieht in Chinas Verhalten ein Grund für die gegenwärtige Krise
Am 11. Dezember 2001 wurde China Mitglied der WTO und genießt alle Vorzüge dieser Mitgliedschaft. Es hält in der WTO aber bis heute den Status eines Entwicklungslandes und praktiziert mit dieser Begründung einen protektionistischen Schutz der eigenen Industrie, der für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde längst nicht mehr akzeptabel ist. 
Die Vorwürfe von Trump sind also ein Stück weit berechtigt, so der Autor: Auch deshalb hatte die WTO auch schon vor Trump viel von ihrer Autorität eingebüßt.

Wiederholt sich die Geschichte?

Wie im 19. Jahrhundert hat der grenzenlose Handel eine militante Antiglobalisierungsbewegung hervorgerufen. Zunächst kam der Protest nur von links. Die "Schlacht von Seattle" 1999 wird auch heute noch in der Szene als Erfolg gefeiert. Inzwischen haben sich auch die Rechtspopulisten des Themas angenommen. Das "alte Modell der Globalisierung" habe ausgedient, sagte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán dem chinesischen Fernsehen. Und Trump ist dabei, die WTO vollends zu demontieren.

Abschied von der Welt-Wirtschaft

Ganz ähnlich argumentiert Jan Willmroth in seinem Essay Abschied von der Welt-Wirtschaft. Er sieht Anzeichen für eine De-Globalisierung und befürchtet einen katastrophalen Umbruch. Es geht nicht nur um Handel, sondern um die Zukunft internationaler Kooperation.

Die Ära der Globalisierung neigt sich dem Ende zu

Trotz aller Kritik hat die Globalisierung den Wohlstand in einem bisher nie gekannten Maße gemehrt. Nun droht ganzen Weltregionen eine Abwärtsspirale.
Die Gefahr, dass die Globalisierung in ihrer bisherigen Form nun enden könnte, ist eng verknüpft mit der Präsidentschaft von Donald Trump, in dessen Abschottungspolitik die stumpfe Gewalt eines Baseballschlägers auf die jahrzehntelang gewachsene Komplexität globaler Warenströme trifft.

Wie Piper sieht Willmroth den Beginn der Krise bereits im Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation: China nutzte eine billige Währung, erschwerte Ausländern den Marktzutritt und sperrte selektiv Importe aus. Diese doppelbödige Strategie wurde vielen Politikern zum Vorbild.
Den schwersten Schlag versetzte der Globalisierung aber ausgerechnet die globalisierten Finanzmärkte ab 2007. Hinzu kommt, dass sich für viele Menschen, z.B. die unteren Mittelschichten in den Industrieländern, das Wohlstandsversprechen der globalen Vernetzung nicht eingelöst hat.

Eine Handelsordnung für das neue Jahrtausend

Mit dem Autor ist zu hoffen, dass Trump und seine Mitstreiter die Welthandelsorganisation nicht beerdigen werden:
Vielleicht geschieht noch ein Wunder und es gelingt tatsächlich eine Reform, die eine Handelsordnung für ein neues Jahrhundert des Fortschritts begründet... Handelsschranken können Waffen sein, und wer diese einsetzt, wird sich auch anderer Methoden bedienen, sobald es ernst wird.

Freitag, 27. Juli 2018

Brexit - Kein Deal besser als ein schlechter?

Der Brexit wird kommen - leider 

Obwohl es mir schwerfällt, glaube ich nicht mehr an die Rücknahme des Brexits. Selbst wenn es ein erneutes Referendum gäbe – eine parlamentarische Mehrheit ist dafür derzeit nicht in Sicht – ist der Ausgang keineswegs gewiss und bei einem erneuten knappen Ergebnis wäre nichts gewonnen.

Die Tragödie um den Brexit geht weiter. Zwar ist mein „Lieblingspolitiker“ Boris Johnson nicht mehr im Amt, ob es wirklich besser wird, ist aber nicht ausgemacht. Es mehren sich die Stimmen, die vor einem Brexit ohne Abkommen warnen. Manche in Großbritannien scheinen sich diesen zu wünschen, aber das kann nicht ernst gemeint sein. Zwei Artikel belegen dies:

Katastrophe Folgen ohne Abkommen

In deinem Artikel in der ZEIT geht es laut Titel um die Frage, was passiert, wenn Großbritannien seine Schulden nicht zurückzahlt, aber in Wahrheit wären diese 50 Mrd. Peanuts im Vergleich zu den anderen Folgen.

Allein die zwangsweise Wiedereinführung des Zolls, die durch einen ungeordneten Austritt fällig wären, hätten fatale Folgen. Nicht so sehr, aber allein die Tatsache, dass zumindest stichprobenartig kontrolliert werden würde. Alleine zwischen Dover und Calais fahren jährlich etwa 2,5 Mio. LKWs.
Die Wirtschaftsprüfer von Deloitte haben ausgerechnet, dass VW, BMW und Mercedes bei einem harten Brexit mit deutlich weniger verkauften Autos und dadurch mit Umsatzeinbußen von rund 12,4 Milliarden Euro rechnen müssten. 18.000 Arbeitsplätze bei den deutschen Autobauern wären direkt bedroht. Es gibt bereits erste Forderungen nach einer Verlängerung der Verhandlungen, aber würde das wirklich zu einem Ergebnis führen?

Abhängigkeit sogar noch größer 

Immerhin hat Großbritannien einen Plan mit einigen interessanten Gedanken, über die man zumindest reden sollte. Allerdings, so Jochen Bittner in seinem Artikel „Paradoxer Staubsauger“ in der ZEIT würde das die Briten erst recht von Brüssel abhängig machen.

Es bleibt also spannend..

Donnerstag, 19. Juli 2018

Flüchtlingspolitik - "Was es mit uns macht, was wir mit ihnen machen"

Ein toller Artikel von Bernd Ulrich, der in der ZEIT über die Flüchtlingspolitik schreibt. In „Was es mit uns macht, was wir mit ihnen machen“ stellt er 15 Thesen zur Wende in der Asylpolitik auf.

Vier Monate Willkommenskultur - seit 31 Monaten geht es in die andere Richtung

Die Stimmung ist nach der Kölner Silvesternacht gekippt, nach Ulrichs Berechnung gab es damit vom 4. September 2015 gerade mal vier Monate eine linksliberale Hegemonie, seit 31 Monaten geht es aber in die andere Richtung: Positive Nachrichten über Flüchtlinge sind unerwünscht, Gewalttaten finden besonders dann öffentliche Beachtung, wenn sie einen muslimischen Hintergrund haben.

Durch den EU-Gipfel im Juni 2018 hat die EU einen großen Schritt in Richtung Abschottung gemacht und damit den vollzogen. Ulrich fragt, ob wir überhaupt noch einen Minimalkonsens haben und wie dieser aussehen könnte.

15 Thesen zur Flüchtlingspolitik

Was also macht es mit uns, was wir mit ihnen machen? Im Folgenden habe ich die aus meiner Sicht wichtigsten Punkte aufgelistet.

1. Flüchtlinge

Eine Gesellschaft darf aufteilen zwischen legaler und illegaler Flucht. Dennoch muss gelten: Was rechtlich illegal ist, kann dennoch menschlich legitim sein. Und ist es auch meistens.

2.    Wir müssen unsere Grenzen schützen

Ulrich kritisiert die Grenzschutzübung, bei dem Menschen in Not zu Invasoren umgedeutet werden: Plötzlich sind also wir die Menschen in Not – Verdrehung der Wirklichkeit, Umwertung der Werte, Nietzsche lacht in seinem Grab.

3.    Private Seenotretter sind schuld am Rechtsruck

Dieses Argument bewegt sich am Rande des Zynismus, solange staatliche Seenotrettung gewollt lückenhaft ist. Wie so oft in der Flüchtlingsdebatte trägt diese Behauptung eine noch gefährlichere Logik in sich, weil der Rechtsruck als quasi natürliche Reaktion auf schlecht kontrollierten Zustrom dargestellt wird.

4.    Integration ist eine Bringschuld

Das stimmt so nicht, denn natürlich kann Integration nur als Geben und Nehmen gelingen, als ein Wechselspiel von Bringschuld und Holschuld.

5.    Bekämpfung der Fluchtursachen

Meistens würde es schon genügen, wenn die Europäer, auch Deutschland, aufhören würden, Fluchtursachen zu sein, etwa mit ihrer Landwirtschafts- und Fischereipolitik. Das ist im Übrigen auch leichter, als nur Fluchtursachen vor Ort zu bekämpfen. Fluchtursachen bekämpfen bedeutet in Wahrheit oft: Wir meinen es gut, aber die Aufgabe ist so gigantisch, dass wir an ihr jederzeit scheitern dürfen.

6.    Die finale Lösung der Flüchtlingsfrage

Die Vorstellung, dass ein Problem dieser Größenordnung final lösbar sein könnte, ist völlig irreal. Mit Blick auf Wohlstand, Freiheit und Sicherheit sind die Verhältnisse zwischen Europa und seinem südlichen Nachbarkontinent derart ungleich, dass dieses Menschheitsproblem in einer immer enger zusammenrückenden Welt allenfalls leidlich geregelt, aber absehbar nicht gelöst werden kann.

7.    An der Asylfrage entscheidet sich die Zukunft des Landes

Dieses „Argument“ wurde ja in letzter Zeit oft bemüht. Hier verweist Ulrich darauf, dass mittlerweile nur noch auf die verbliebenen Defizite verweisen wird, sogar von Regierungsparteien:
Kommen weniger Flüchtlinge, wird einfach eine größere Lupe zur Hand genommen, relevant ist nicht mehr, was geschieht, sondern was als Geschehen empfunden wird. In Österreich ist man schon weiter und schiebt beinahe jedes Problem der Gesellschaft auf die Flüchtlinge, von der Rentenpolitik bis zur Wohnungspolitik.

8.    Ohne sie wäre alles besser

Es gibt ja wenig, wofür manche Leute die Flüchtlinge (und/oder Merkel) verantwortlich machen. Auch hier findet Ulrich die passenden Worte:
Zur Beurteilung der Flüchtlingspolitik wird oft ein imaginärer migrationsloser Zustand zum Kriterium erhoben. Demzufolge ist jedes Verbrechen, das von Migranten begangen wird, eines zu viel, weil es ja ohne sie nicht passiert wäre.

9.    Sie sind undankbar

St. Martin riskiert heute, wenn er seinen Mantel teilt, die Frage: Und was ist mit dem Pferd? Oder: Warum bist du eigentlich reich und ich nicht? Zu diesem gefühlten Mangel an Dankbarkeit gesellt sich eine Urangst der Europäer: die Furcht vor Vergeltung.

10.    Die da

Ulrich fordert ein Ende der Einteilung in „Wir und „Die da“.

11. Pull-Faktoren

Ja, Europa ist attraktiv: wirtschaftlich erfolgreich, demokratisch, frei. Neben den vielen Gründen das Heimatland zu verlassen (sog. Push-Faktoren) gibt es auch Pull-Faktoren, die für Migrant/innen anziehen sind. Ulrich warnt: Wer alle Pull-Faktoren beseitigen will, muss die EU zu einem abschreckenden Gebilde machen.

12.    Merkel hat die Grenzen geöffnet

Hat Merkel die Grenzen geöffnet oder „nur“ die Grenzen offen gehalten? Ulrich dazu: „Die Flüchtlingsdebatte bezieht sich in dieser Sicht weniger auf Gegenwart oder Zukunft als auf einen vermeintlichen Sündenfall in der Vergangenheit.“

13.    Die Deutschen haben wegen ihrer Vergangenheit ein schlechtes Gewissen

Auch bei diesem Abschnitt trifft Ulrich aus meiner Sicht den Nagel auf den Kopf:
Das Argument, Deutschland sollte wegen Auschwitz großzügig Flüchtlinge aufnehmen, bringen fast nur noch jene auf, die es sodann als moralische Zumutung brüsk zurückweisen. Deutschland ist eines der reichsten Länder dieser Erde, eine erfolgreiche Exportnation und versucht, zivilisiert und wertegebunden seinen Platz in der Mitte Europas auszugestalten. Man braucht keine Sekunde Vergangenheit, um eine humane und zugleich realistische Flüchtlingspolitik zu begründen, die Zukunft reicht völlig.

14.    Wir können nicht alle aufnehmen

Müssen wir auch nicht, weil nicht alle zu uns kommen wollen und werden. Dass der Satz dennoch immer wieder gesagt wird, dient dazu, eine immer rigorosere Flüchtlingspolitik als legitime Zurück-weisung eines monströsen moralischen Anspruchs zu stilisieren.

15. Man muss kühl draufblicken

Nein, müssen wir nicht, Mitgefühl ist wichtig. „Seehofers Nonchalance bei den 69 Abschiebungen zu seinem 69. Geburtstag zeigt, wie weit dieses Nichtfühlen schon kultiviert ist.“

Selten hat mich ein Artikel so begeistert, sauber argumentiert und ein Genuss, auch wenn man natürlich nicht allen 15 Thesen zustimmen muss.