Samstag, 23. September 2023

Es gibt ein Recht auf Asyl, aber nicht auf Migration

Der Migrationsforscher Gerald Knaus äußert sich im SPIEGEL zu den aktuellen Vorschlägen zur Begrenzung der Migration.

Seeblockade und Grenzkontrollen bringen wenig

Kanus ist skeptisch gegenüber Seeblockaden. Den letzten Versuch 2009 haben europäische Gerichte verurteilt. Auch nationale Grenzkontrollen sieht er skeptisch: Frankreich und Österreich machen dies, die Zahl der Asylanträge hat sich dennoch erhöht. Grenzkontrollen würden alle Pendler betreffen und enorme Kosten verursachen. Kontrollen an den EU-Außengrenzen sind aus seiner Sicht nur mit Abkommen sinnvoll.

Die liberale Demokratie steht auf dem Spiel

Kanus sieht Gefahren für die liberale Demokratie. Er kritisiert das illegale zurückweisen an der Grenze: „An den Außengrenzen steht der Rechtsstaat auf dem Spiel“
Er befürchtet, dass das Modell Orban Schule macht. Er hatte 2015 das bevorstehende Ende der liberalen Demokratie bejubelt und Verschwörungstheorien befördert.

Seenotrettung und Menschen ohne Gewalt davon abhalten in Boote zu steigen

Knaus verteidigt das EU-Türkei-Abkommen, das sein Institut 2015 maßgeblich mitgestaltet hat: legal Flüchtlingen aufnehmen, irreguläre Migration durch rechtmäßige Rückführungen reduzieren. „Es ging darum, die Empathie, die es gab und gibt, mit Kontrolle zu verbinden.“
Das Abkommen hat damals seine Wirkung erzielt, es fehlte aber ein glaubhaftes Asylsystem in der Türkei.  Er fordert ein weiteres Abkommen: Der Türkei sollte bei der Betreuung der 3,5 Millionen Flüchtlinge geholfen werden und Menschen sollten leichter Visa erhalten. Dafür muss die Türkei Urteile des Menschengerichtshof akzeptieren und Menschen zurücknehmen.

Sichere Drittstaaten

Knaus fordert weitere Abkommen mit sicheren Drittstaat. Er zeigt Sympathie für das dänische Vorgehen, dass nicht nur die Verfahren dort stattfinden, sondern Menschen nach einem erfolgreichen Verfahren dort auch Schutz finden. Es gibt ein Recht auf Asyl, aber nicht auf Migration. Auch Großbritannien hatte vor, Asylsuchende nach Ruanda zu bringen. „Ein humanes System wäre eines mit mehr Seenotrettung und dem Ziel »null Tote«, ohne Rückführungen nach Libyen, Asylverfahren in wirklich sicheren Drittstaaten und dem Ausbau der legalen Aufnahme.“ Besonders die Perspektive für Menschen, visafrei nach Europa zu reisen, könnte die Regierungen anhalten, bei der Rücknahme zu kooperieren.

Das Modell Kanada

Knaus sieht in Kanada ein Vorbild: Wer irregulär nach Kanada kommt, wird in den sicheren Drittstaat USA zurückgeschickt. Dafür nimmt Kanada jährlich eine halbe Million Einwanderer auf, darunter 50.000 Flüchtlinge, die sofort integriert werden können. Auf Deutschland umgerechnet wären das mehr als 100.000 Flüchtlinge.

Keine irrationalen Ängste schüren

Knaus wendet sich gegen einen Diskurs, der irrationale Ängste schürt, da diese Empathie zerstören. Um Empathie zu erhalten, müssen Mehrheiten das Gefühl haben, dass es Kontrolle gibt, und verstehen, warum Menschen fliehen. Für die Politik ist daher humane Kontrolle der Weg, die Narrative von Rechtsextremisten zu kontern.